22 März 2013

verdrängt aber nicht verloren...

Unsere Mütter, unsere Väter – der dritte Teil dieses bemerkenswerten Dreiteilers ist am Mittwoch gelaufen. Flankiert von etlichen Dokus, Interviews und Talkshows und Medienberichten, wurde das aufwendige Werk in der letzten Tagen ausgestrahlt. Ich muss gestehen, dass es mir noch nicht gelungen ist die drei Filme durchgängig anzusehen*. Scheinbar kam bei mir zuviel an „epigenetischer“ Erinnerung hoch. Wir alle leben mit Erinnerungen, die nicht immer direkt die unseren sind.

Ich wurde 1947 von einer Mutter geboren, die für den Rest ihres Lebens froh war, dass ihre damals sechs vorhandenen Kinder den Krieg und die einjährige Flucht äußerlich unbeschadet überstanden hatten. Selbst in der DDR, wo man stets bemüht war gewisse Aspekte der Nazizeit aufzuarbeiten, wurden zwar die Gräuel des Krieg als solches verdammt, aber auch irgendwie als eine historische Notwendigkeit gehandelt. Ich bin, mit Trümmern vor Augen, in die friedliche Nachkriegszeit hineingewachsen, mit dem persönlichen, durch Verluste geprägten Schicksal meiner Eltern und Geschwister im Schlepptau. Meine Schwester zum Beispiel verlor ihre Heimat, ihr Zuhause und darüber hinaus ihre Kindheit und ein Teil Jugend. Sie hat kein Schlachtfeld erlebt, aber über diese verlorenen Zeit spricht sie auch heute noch nicht gern. Jede Form von Verlust hinterlässt Spuren und der totale Ausnahmezustand, in den ein Kriegsgeschehen die betroffenen Gebiete versetzt, hinterlässt ebenfalls weitreichende Auswirkungen – auch wenn immer noch viele von vergossenem Blut und Tod verschont sind – übriggeblieben ist eine traumatisierte Generation. Auch ich konnte damals als junges, geschichtsinteressiertes Mädchen aus meiner Mutter nicht herausbekommen, was genau sie erlebt hat und wie es sich mit bestimmten Erinnerungen weiterleben lässt.

Der Titel des Filmes spielt jedenfalls darauf an, dass die jungen Leute, die den Krieg erlebten, dann „unsere Mütter und Väter“ waren. Aber was hat es denn nun mit den Müttern dieser Zeit auf sich? Höflich wie man heutzutage ist, wird selbstverständlich die Frau, die Mutter, in dieser Titulierung des Filmdreiteilers, zuerst genannt. Allerdings wirkte diese Nennung der Mütter auf mich hier sehr befremdlich. Als hätten die (im Film nicht gezeigten) Mütter der Kriegstage besondere Anteile an den grausamen Ereignissen. Sie werden rhetorisch auf diese Weise in eine Verantwortung eingebunden, die das eigentlichen Geschehen so nicht hergibt.

Nichts desto trotz hat das ZDF ein Stück Zeitgeschichte verfilmt und dabei ein recht real wirkendes Dokument geschaffen, dass sich nicht nur anzusehen lohnt, sondern auch sehr nachhaltig wirken kann. Thematisiert wird die traumatische Epoche, die mit dem ersten Weltkrieg begann und deren letzte Ausläufer in unserer Zeit immer noch immer nicht verebbt sind. Der gezeigte Schwerpunkt sind fünf Jahre in denen der Zweite Weltkrieg in Mittel- und Osteuropa tobte. Fünf Schicksale werden dabei verfolgt – zwei junge Frauen, drei junge Männer – drei von den Fünf überleben.

Von (dargestellten) Müttern konnte in den drei Teilen kaum die Rede sein, wenn wir mal von der still verzweifelten Mutter der Brüder Wilhelm und Friedhelm absehen. Aber der Titel des Epos ist auch etwas um die Ecke gedacht und meint damit die Vertreter der Generation, die den Krieg intensiv er- und überlebten. Die Frauen und Männer, die nach den Jahren des Grauens Eltern waren oder wurden und danach nicht im Stande waren mit ihren Kindern die Erlebnisse und die Beteiligung an dieser unerträglichen Sinnlosigkeit zu teilen.

Es gibt bald niemanden mehr, der noch dabei gewesen ist... ein Grund mehr diese Stimmen noch zu Wort kommen zu lassen. Die Menschheit hat immer auf die überlieferten Erlebnisse und Erfahrungen der Alten aufgebaut. Und gerade bei dieser kollektiven Horrorerfahrung wurde eher jahrzehntelang auf Schweigen, Vermeiden und Verdrängen gesetzt. Wenn jene die am eigenen Leib diese Erfahrungen machten, nicht mehr sind, fehlt uns das lebendige „Anschauungsmaterial“. Diejenigen, die das Schweigen brachen, wurden auch nicht von allen gehört und schlimmstenfalls gipfelt die Meinung in boshaften Sprüchen, wie „...selber schuld, warum habt ihr mitgemacht!“. Das diese Haltung noch besteht, konnte ich auch jetzt noch bei diversen Pro und Kontra – Kommentaren zu dem Film lesen.

Viele der noch jungen Kommentatoren im Netz haben nicht einmal ansatzweise verstanden, dass hier auch ein Versuch unternommen worden ist ein Schlaglicht auf die Mechanismen der (dauerhaften) Prägungen zu werfen. Wie weit hinein in die nächsten Generationen reichen wohl die Erfahrungen unserer Mütter oder Großmütter, die sie mit Brutalität und einem pervertierten Alltag, mit Denk- und Handlungsverboten machten? Das eigene einfache, alltägliche Agieren wurde vielleicht im Nachhinein als Schuld erkannt. Diffuse Ängste von damals sind immer noch nicht in Worte zu fassen, weil es diese Worte immer noch nicht gibt. Wie soll eine Mutter ihren Kindern unaussprechliche Fakten erklären, wenn es für sie selbst immer noch zu schmerzlich, zu bedrohlich ist und sie allein dafür keine Worte findet? Außerdem ist es auch heute noch gesellschaftlich verpönt bestimmte Dinge beim Namen zu nennen und so es wurde das Verdrängte noch einmal verdrängt. Die geschädigten Kriegs- und Nazi – Opfer – Täter wollten nicht nur nicht hinsehen, sie durften es aus einer kollektiven „Büßerverordnung“ heraus auch nicht. Und dabei wäre bitter nötig gewesen. Nicht um wen frei zu sprechen oder wegen der Moral oder den mehr oder weniger gerechtfertigten Schuldzuweisungen, sondern um eben den künftigen Generationen gewisse Störungen zu erklären oder es ihnen ersparen. Das „ererbte“ Gefühl in den rechten Kontext zu setzen und endlich einen Sinn für epigenetisch motiviertes Fühlen und Agieren zu bekommen, sollte langsam eine bewusste Aufgabe von Müttern werden. Es ist wohl so ein Menschending oder nur ein biologischer Grundzug - alles was wir tun hat Auswirkungen über viele Generationen. Ob wir friedlich leben oder nach wie vor Demagogie, Kriegen oder Hexenjagden ausgesetzt sind, ob wir unseren Kindern Geborgenheit anbieten oder ihnen die Nähe verweigern – es fällt auf uns zurück - persönlich und kollektiv. „Unsere Mütter, unsere Väter“ von einst können ihr Verhalten nachträglich nicht mehr ändern, die gerade amtierende Generation, zu der auch wir Älteren gehören, schon.
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