Wenn mir meine Heimat verlustig
geht, bleibt mir in der Regel gar nichts weiter übrig, als mich
mit den nun mehr bestehenden Lebensumständen zu arrangieren.
Gleichgültig ob wir es selbst entschieden haben oder uns schicksalhafte
Verstrickungen heimatlos gemachten, die Anpassungsarbeit an die
veränderte Situation muss das Individuum auf jeden Fall leisten.
Wir sind heute in unserer Kultur auf
Nichtbindung seit Kindheit an trainiert. Nach zwei Wochen wird heute
nach einem Ortswechsel schon gefragt: na hast du dich schon
eingelebt? Und bei einem Verlust wird einem kaum Zeit zum Trauern und
Verarbeiten zugestanden. Dieser Verlust muss nicht immer ein
Todesfall sein. Täglich verschwinden Menschen aus unserem Umfeld,
die zu unserem Lebenskreis gehörten, die uns in irgendeiner Weise
nahe standen und vertraut waren. Von Kind an gibt es in unserer
fremd-strukturierten und flexibel angelegten Gesellschaftskultur ein
ständiges Kommen und Gehen. Die Spielkameradin zieht weg, die beste
Freundin wechselt die Schule, die Arbeitskollegin verlässt den
Betrieb, der Ehemann kommt abhanden, der Freund löst die Beziehung
oder eine bricht selbst mit dem eben noch innig Geliebten oder gar
mit ihrem familiären Background.
Ständiger Verlust gehört zu unserem
Alltag und ist als grundsätzliches Muster in unseren
gesellschaftlichen Gepflogenheiten angelegt. Aber dieses neue, schon
über ein paar Generationen tradierte Selbstverständnis (der
permanenten Trennung) in unserer abendländischen Kultur ist und das
wissen wir inzwischen genau, keine artgerechte Verhaltensweise
unserer Spezies.
Als Individuum bleiben wir, selbst bei
relativ harmlosen Verlusten, immer als jeweils allein Betroffene
zurück. Und die anderen ebenso. Wir verarbeiten Trennungsschmerz und
Trauer nicht mehr in gewachsenen Nähe-Gruppen, in unseren
angehörigen Lebensgemeinschaften, sondern bleiben auf uns
zurückgeworfen. Muss zum Beispiel der „Verlust“ einer vertrauen
Arbeitskollegin im Alltag überwunden werden, wird kaum eine lange
klagen oder darüber viele Worte verlieren, aber in unserem Inneren
laufen trotzdem bestimmte Prozesse ab. Es gehört seit Prä-Zeiten zu
unserer Art sich mit Verlusten auseinanderzusetzen. Von unserer
menschlichen Grundhaltung her mussten wir das jedoch nicht allein
durchleben, genauso wenig als isolierte Mutter die eigenen Kinder
allein aufziehen.
Der moderne Trend geht jedoch nach wie
vor hin zur Unterdrückung und Verdrängung der Verlust-Gefühle und
der möglichst schnellen Überwindung. Sich lange damit beschäftigen
oder den schmerzlichen Gefühlen Raum zu geben, ist verpönt. Jede
Art von Verlust- und Trauerarbeit wird als überflüssig angesehen
bzw. wie ein Tabu gehandelt. Sogleich wird uns von allen Seiten
empfohlen, doch wieder nach vorn zu sehen. Das Leben geht weiter.
Aber es geht auch weiter wenn wir angemessen trauern oder uns des
Verlustes bewusst werden. So ziehen wir uns also eine Weile in uns
zurück und lassen unseren Schmerz möglichst nicht den Alltag
tangieren. Schließlich haben wir das von Kindheit an trainiert und
bei den meisten sitzt die Konditionierung tadellos. Frauen sind immer
wieder in besonderem Maße betroffen, müssen sie doch im
herrschenden patriarchösen System schon seit Jahrtausenden ihre
Herkunftsgeborgenheit verlassen und sehen sich mit vielfältigen
Nuancen von Heimatlosigkeit konfrontiert.
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