28 Dezember 2014

Trauer - Gedanken aus dem Tagebuch II

040414 ... wenn mir meine Heimat verlustig geht, bleibt mir in der Regel gar nichts weiter übrig, als mich mit den nun mehr bestehenden Lebensumständen zu arrangieren. Gleichgültig ob wir selbst entschieden haben oder uns schicksalhafte Verstrickungen heimatlos gemachten, die Anpassungsarbeit an die veränderte Situation muss das Individuum auf jeden Fall leisten.

Wir sind heute in unserer Kultur auf Nichtbindung aller Art seit Kindheit an trainiert. Nach zwei Wochen wird heute nach einem Ortswechsel schon gefragt: na hast du dich schon eingelebt? Und bei einem Verlust wird einem kaum Zeit zum Trauern und Verarbeiten zugestanden. Dieser Verlust muss nicht immer ein Todesfall sein. Täglich verschwinden Menschen aus unserem Umfeld, die bisher zu unserem Lebenskreis gehörten, die uns in irgendeiner Weise nahestanden und vertraut waren. Von Kind an gibt es in unserer fremd-strukturierten und flexibel angelegten Gesellschaftskultur ein ständiges Kommen und Gehen. Die Spielkameradin zieht weg, die beste Freundin wechselt die Schule, die Arbeitskollegin verlässt den Betrieb, der Ehemann kommt abhanden, der Freund löst die Beziehung oder eine bricht selbst mit dem eben noch innig Geliebten oder gar mit ihrem familiären Background. 

Doch nicht nur der Verlust eines Menschen - alles was wir an vertrautem Alltag verlieren beschäftigt unser Gemüt. Ein Umzug, der Wechsel der Arbeitsstelle, der Abschluss einer Schule, selbst eine größere Reise lässt unsere (Lebens)Energie aus der sonst so beruhigenden Routine und der, uns stabilisierenden, Geborgenheit fließen und die neue, manchmal auch bedrohliche Situation bearbeiten. Wir mögen es nicht, aber wir wurden darauf trainiert, uns mit einer grundsätzlichen und manchmal direkten dramatische Fremdbestimmung zu arrangieren, die keinen wirklichen eigenen Lebensrhythmus duldet.

Ständiger Verlust gehört zu unserem Alltag und ist als grundsätzliches Muster in unseren gesellschaftlichen Gepflogenheiten angelegt. Aber dieses neue, schon über ein paar Generationen tradierte Selbstverständnis (der permanenten Trennung) in unserer abendländischen Kultur ist und das wissen wir inzwischen genau, keine artgerechte Verhaltensweise unserer Spezies.


Als Individuum bleiben wir, selbst bei relativ harmlosen Verlusten, immer als jeweils allein Betroffene zurück. Und die anderen ebenso. Wir verarbeiten Trennungsschmerz und Trauer nicht mehr in homogen gewachsenen Nähe-Gruppen, sondern bleiben in der Regel auf uns selbst zurückgeworfen. Muss zum Beispiel der „Verlust“ einer vertrauen Arbeitskollegin im Alltag überwunden werden, wird kaum eine lange klagen oder darüber viele Worte verlieren, aber in unserem Inneren laufen trotzdem bestimmte Prozesse ab. Es gehört seit Prä-Zeiten zu uns sich mit Verlusten auseinanderzusetzen. Von unserer menschlichen Grundausstattung her mussten wir das einst nicht allein durchleben. Genauso wenig wie eine Mutter ihr Kind allein aufzog. Das autarke Individuum ist genau wie die isolierte Mutter ist ein moderner, aber nicht menschenartgerechter Effekt und so das klassische Beispiel für Vereinzelung, Ungeborgenheit und Verlust.

Der heutige Trend geht jedoch nach wie vor hin zur Unterdrückung und Verdrängung der Verlust-Gefühle und deren möglichst schnellen Überwindung. Sich lange damit beschäftigen oder den schmerzlichen Gefühlen Raum zu geben, ist weitgehend verpönt. Jede Art von Verlust- und Trauerarbeit wird als überflüssig angesehen bzw. wie ein Tabu gehandelt. Sogleich wird uns von allen Seiten empfohlen, doch wieder nach vorn zu sehen. Denn schließlich geht das Leben weiter. Aber es geht auch weiter, wenn wir angemessen trauern oder uns des Verlustes bewusst werden. Statt dessen ziehen wir uns vielleicht eine Weile in uns zurück, dabei lassen wir unseren Schmerz möglichst nicht den Alltag tangieren. Schließlich haben wir das von Kindheit an trainiert und bei den meisten sitzt die Konditionierung tadellos. Frauen sind immer wieder in besonderem Maße betroffen, müssen sie doch im herrschenden patriarchösen System schon seit Jahrtausenden ihre Herkunftsgeborgenheit verlassen und sehen sich mit vielfältigen Nuancen von Heimatlosigkeit, Verlassenheit und Trauer konfrontiert.

Das Problem unserer Zeit ist, dass wir bei dem permanenten Verlustszenario aus dem unser durchschnittlicher Alltag besteht, kaum noch aus unserer unverarbeiteten und permanent verdrängten Trauer herauskommen...

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1 Kommentar:

Grey Owl Calluna hat gesagt…

.....dem ist nichts hinzuzufügen.
Ein guter Ansatz für mich....im Inneren zu beginnen,.....mit der Trauer-, Übergangs- und Anpassungsarbeit. Allerdings hatte ich mich jetzt erst gerade so richtig "zu Hause" gefühlt.....
Liebe Grüße
Rosi
P.S.: Hab' gestern meinen Vater gesehen und er macht mir Sorge....