06 September 2011

Mädchen-Märchen

Eine Freundin hat mir ein Buch geliehen: Das Feuer der Baba Jaga - sehr empfehlenswert. Hier werden russische Märchen betrachtet und analysiert und mit dem Wissen über die weit zurückliegende, matrifokale Ordnung abgeglichen. Wie es in allen Märchen üblich ist, fließen uralte und jüngere Werte in solchen Geschichten zusammen, vermischen sich oder heben sich scheinbar gegenseitig auf. 

Ich habe schon sehr viele Märchen gelesen, manchmal auch gehört. Sehr gern mochte ich die kraftvollen russischen Volksmärchen, die in vielem ursprünglicher als die stark bearbeiteten deutschen Überlieferungen der Grimmschen Sammlung sind. Eines meiner Lieblingsmärchen von der Kindheit bis Heute ist: Die Gänse – Die Schwäne. Und auch wenn in den aktuellen Fassungen die Gänse, die der Baba Jaga dienen, als „böse“ dargestellt werden, besaß diese Geschichte für mich immer schon eine wilde, mitreißende Faszination. 

Sie weist Parallelen zu dem Märchen der Frau Holle auf, das ich seit meiner Kindheit liebte. Auch hier geht es um eine Art Initiation des Mädchens. Dessen war ich jedoch auch erst viel später bewusst. Doch jetzt will ich hier nicht nur auf die Baba Jaga eingehen, die Strenge, die Ungestüme, die Göttin von Leben und Tod und auch nicht darauf, dass eine JungFrau die Schwelle vom Kind zur Frau überschreitet.
 
Nein, denn es gibt verschiedene Sichtweisen sich einem Märchen zu nähern und die tieferen Schichten zu ergründen. 

Ich  betrachte gern die einfache, die praktische und alltägliche Seite. Die Mär, die Sage wurde einst, eingebettet in den Alltag erzählt  und verkündet - um die übliche Handlungen und Bräuche weiterzureichen, um das überlieferte Wissen zu erhalten und um unterhaltsam zu sein.

Die Gänse – Die Schwäne - Hier wird der Bruch in den Märchenüberlieferungen, die Mixtur aus alten matri-geprägten Mythen und den neuen Werten und Gepflogenheiten einer patriarchalen Gesellschaft, recht deutlich. In dieser Geschichte geht es nicht um Königreiche, Heldentaten oder gar darum einen Prinzen zu erringen. Wie bei dem deutschen Ur-Märchen Frau Holle kommt gar kein Prinz darin vor.

Der Schwerpunkt eines solchen Märchen liegt auf dem schlichten Aspekt, ob das Mädchen, die junge Frau, in der Lage ist, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen? Ist sie klug und gewitzt genug, um die Ihren zu beschützen oder einer Gefahr zu entreißen? Und egal ob von guten oder schlimmen Mächten entführt, hier gilt es das Brüderchen (oder die kleine Schwester) wieder nach Hause zu bringen.

Die Gänse – Die Schwäne, Seelenvögel, Krafttiere, der Göttin verbunden, haben ein Kind aus der Menschengemeinschaft genommen. Doch das verlorene Kind
muss nicht wirklich gerettet werden, denn bei der Baba Jaga, im Initiationsreich, geschieht ihm ja kein irdisches Leid. Als die Schwester ihre Suche abschließt und das Haus der Baba Jaga erreicht, sitzt es auf der Ofenbank und spielt mit goldenen Äpfelchen.

Die Herausforderung der stattfindenden Initiation bestand für die junge Frau darin, zu zeigen, dass sie in der Lage ist, das Erbe ihrer Mutter und der Ahninnen anzutreten und die Ihren zu beschützen. Um in einem Intiationsgang ihre Geschicklichkeit und Klugheit zu beweisen, wurde für sie nicht etwa eine goldene Kugel oder eine Puppe versteckt, sondern ein lebender, nahestehender Mensch. Hier ist es der kleine Bruder für den sie alles riskiert.

In dem Märchen wird der Tochter, wie es vor Zeiten üblich war, die Verantwortung für Haus und Hof übertragen, da Mutter und Vater für längere Zeit das Haus verlassen mussten. Und an dieser Stelle erkennen wir bereits den Bruch in der Gesellschaft - ein Elternpaar lebt mit seinen Kindern allein und es sind keine anderen Familienangehörigen oder eine schützende Dorfgemeinschaft vorhanden. 

Bis heute ist es das größte Unglück, wenn ein Kind verloren geht, es wegläuft, entführt oder gar getötet wird. Das gab es zu allen Zeiten und solch traumatische Geschehen finden sich auch in Überlieferungen und Erzählungen wieder, doch da in der Regel mit einem guten Ausgang der Geschichte. 

Etwas von den alten Riten und Bräuchen blieb und bleibt uns immer erhalten, wir alle kennen den Begriff des herabgesunkenen Kulturgutes. Kinderspiele wie Verstecken und Suchen sind noch heute sehr beliebt und früher spielten das nicht nur die Kinder. Vergessen sind diese verbindenden Spiele nicht. Ob bei einer Brautentführung oder der zweiten Aufgabe des Trimagischen Turniers bei Harry Potter - die zu Prüfenden müssen sich würdig erweisen und das verlorene Mitglied der Gemeinschaft, das Geschwisterchen oder die zukünftige Liebste in die damals noch dörfliche Menschengemeinschaft zurückholen ... und so gelingt es auch der Schwester das Brüderchen dem Bann der Baba Jaga zu entreißen und trotz der sie unermüdlich verfolgenden Großvögel rechtzeitig wieder zu Hause zu sein. Die Gänse-die Schwäne umkreise den Schornstein und fliegen wieder zurück in die tiefen Wälder der Märchen und Sagen ...
 
eure Märchen-Oma


 
Initiation

Baba Jaga Knochenbein
braust heran
stürmt durch die Wälder
  dichtes Dunkel - ewig grün.
Doch das Mädchen
kennt kein Schaudern.
frei ist sie in ihrem Sinn
stark und kühn!

Bis zum Häuschen Hühnerbein
kreischt die Alte wilde Lieder,
nichts was uns zu Tränen rührt.
Weither ist sie schon zu hören,
wehe dem, der Furcht verspürt!

Wassilissa heizt den Ofen
rührt im riesig dampfend Kessel
Lebenssuppe nach Geheiß.
Die schon kocht seit uralt Zeiten,
Leben, welches kommt und geht!
Und das Mädchen fegt vom Boden,
Knochen, die da abgenagt.
wie der Alten sie's versprochen!
Vom Brunnen her, sie Wasser trägt.

Wartet auf die grausig Hexe,
der sie diente Jahr und Tag.
Heute ist die Zeit vollendet!
Heute kehrt sie wieder heim!
Heim zur Mutter
und den Schwestern
nie mehr ist sie jetzt allein...
 
Stephanie Ursula Gogolin


... im Netz es gibt mehrere Seiten mit Märchen  - hier ist eine Seite, da kann frau den Text des Märchens nachlesen oder auf interessante Weise reinhören...
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5 Kommentare:

Almut hat gesagt…

Hallo Stephanie,
Märchen sind toll und sagen mehr als es auf den ersten Leseblick scheinen mag...kennst Du das Buch die Göttin Holle? Bestimmt...
lg
Susi

birgit hat gesagt…

märchen sind was wundervolles zum lesen
ich liebe sie so sehr

birgit hat gesagt…

fiel mir grade noch mal ins auge
der satz
'...zwingen sie unbesehen in den tod zu gehen...'
ich glaube wir haben eine vorgabe aus urzeiten
unbesehen für die unsren einzustehen auch mit einsatz des eigenen lebens
und diese vorgabe beuten sie aus
auch im eigenen kopf
zu überlegen ist wie wir diese intuition wieder so einsetzen wie sie gedacht war und nicht in dieser pervertierten weise gegen jeden fremden wenden...
hast du schon das neue buch von luisa francia über märchen?
allerliebste grüße
gerade heute
birgit

Stephanie hat gesagt…

Hallo Susi,
ja habe ich! zu dem Thema nenne ich mehrere Bücher mein eigen.
auf meiner Seite Waschweib steht im Moment auch noch die Seite: Frau Holle - ein Vortrag, den ich mal verfasst habe...
http://waschkeller.blogspot.com/p/frau-holle.html

Gruß Stephanie

Stephanie hat gesagt…

Hallo Birgit,
das Buch von L. Francia habe ich noch nicht, ich möchte erst darin blättern, bevor ich es kaufe.

das mit der Vorgabe aus Urzeiten finde ich gut, genau das ist es, den Unseren Schutz zu gewähren, die eigenen Gemeinschaften zu erhalten. dieser Effekt wird in der heutigen Gesellschaft immer noch verdrängt oder geschickt, wie du schreibst, ausgebeutet. der Witz ist ja, es geschieht in jeder Hinsicht fremdgesteuert...
Mütter schicken ihre Kinder nicht in irgend welche Kämpfe und Kriege und Mütter und Kinder werden auch nicht mehr in solchen geschützt.

Gruß Stephanie