Wieder und wieder fühle ich mich
wie neugeboren...
Als
ich angefragt wurde, ob ich zum Thema Neugeboren
was beizusteuern habe, las ich im ersten Moment statt dessen
„Neugeborene“.
Lag wohl an meiner Großmutterbrille.
„Ich fühle mich wie neugeboren“...
den Satz können wir heute allgemein im Getriebe des Alltags wohl
viel öfter hören als die Botschaft: „Wir haben ein Neugeborenes!“
Mit meinen Kindern, die ich einst zur
Welt brachte, wurde auch ich ein jedes Mal neugeboren. Später, als
meine Kindeskinder zur Welt kamen, nahmen mir meine Töchter die
Arbeit ab, aber selbst bei körperlicher Abwesenheit fand auch für
mich diese geheimnisvolle Transformation statt. Ich wurde als
Großmutter neugeboren und ein jedes Mal dadurch erneuert, erweitert,
gewandelt. Ich würde nicht fühlen, denken und handeln, wie ich es
heute tue, wenn es nicht so wäre.
Jede Geburt ist nun mal wie der
berühmte Flügelschlag des Schmetterlings der Chaostheorie. Sie ist
das Epizentrum, der Moment der Wahrheit für die Nächststehenden.
Denn nichts wird mehr wie vorher sein.
Auch die betroffenen Angehörigen
werden mit „neugeboren“. Selbst wenn wir das Ereignis ignorieren
oder uns distanzieren, der Schmetterling entfaltet die Flügel und
setzt eine neue Assoziationskette, genannt Zukunft, in Gang. Das gilt
auch gleichermaßen für das Sterben, doch das ist nicht das Thema.
Es gibt in unserem Alltag wenige
Neugeborene, wenn wir nicht gerade Hebamme sind. In jeder Sekunde
werden zwar mehrere Kinder auf der Welt geboren und ebenso sterben
davon Tag für Tag unendlich viele, bevor sie dazu kommen wirklich zu
leben. Und auch wenn wir gelernt haben solche Tatsachen zu
akzeptieren, ist es für mich immer wieder eine kaum fassbare
Vorstellung.
Und wie sieht es in unserem
beschaulichen westlichen Alltag aus? Wo es relativ wenige Kinder gibt
und diese zumindest ein Auskommen haben, eine vorgeschriebene Bildung
durchlaufen müssen und denen bis zu drei Jahren eine Mama
zugestanden wird, bevor sich diese wieder in den
Erwerbsarbeitsprozess einreihen soll?
Geboren werden ist einfach kein Thema
unserer Tage. Wir haben uns an diesen gesellschaftlichen Zustand der
Ignoranz gewöhnt, dabei wäre eine grundsätzliche, freundliche
Kenntnisnahme von Neugeboren und Kindern allgemein dringend angesagt.
Babys werden zwar heute in der Öffentlichkeit nicht mehr so
geflissentlich übersehen, wie es noch vor Jahren der Fall war und
bestimmt sind die Reaktionen in gewachsenen Strukturen eines
ländlichen Gemeindelebens anders als in der anonymen Großstadt, doch wir wissen auch, dass es reale und virtuelle Räume in unserer
Gesellschaft gibt, wo keine Kinder vorkommen, nicht vorgesehen, ja
undenkbar sind oder auch durch uns besser fern gehalten werden.
Die erwachsene (Arbeits)Welt ist
kinderfrei, wenn die Erwerbstätigkeit der einzelnen nicht gerade
darin besteht, auf anderer Leute Kinder Einfluss zu nehmen. Und diese
Tätigkeit kann ganz verschieden sein, z.B. als Lehrerin,
Kindergartenfachkraft oder Marketingstratege. Kinder werden separiert
gedacht und bis zu einem gewissen Lebensalter auch nicht wirklich als
normaler Mitmensch behandelt.
… ich stelle mir gerade vor, ein
Neugeborenes würde grundsätzlich öffentlich bekannt gegeben. Die
Nachbarn der gesamten Straße, des Viertels, würden in ihr
Bewusstsein die Information hereinlassen: Hier wächst ab sofort
ein neuer kleiner Mensch heran und für den ich auch zuständig bin.
Ich werde achtsam sein und in meinem Herzen und meinen Handlungen das
neue Leben begleiten.Und statt Glückwunschkarten werden
Gutscheine verschickt, die ein individuelles Hilfsangebot
enthalten....
Ich höre lieber auf zu träumen. In
unserer oft unerfreulichen Wirklichkeit wäre die junge Mutter von so
viel Aufmerksamkeit wahrscheinlich überfordert. An der Stelle wird auch klar, ein solcher
Paradigmenwandel im Umgang mit den Menschen, mit denen wir unseren
Alltag teilen, lässt sich zu den jetzigen Bedingungen nicht eben mal
umsetzen. Umso wichtiger ist unser aller Neugeburt.
Geborenwerden wird auch als „das
Licht der Welt erblicken“ bezeichnet. Denn die Welt ist bereits da und
wir sollten sie uns immer wieder mit neuen Augen ansehen, um
auch neue Voraussetzungen für all die Neugeborenen und uns selbst schaffen. In
meinem Leben gab es einige Aha – Erlebnisse und Erkenntnisse -
beschert durch das Gefühl des NeugeborenSeins - das sich mir gerade bei jedem Kindeskind immer
wieder so elementar, so überwältigend präsentierte.
Es ist das Besondere an der weiblichen
Entwicklung, dass wir mit dem Eintritt in die Zeit des „Nach dem
Muttersein“ eine neue Bewusstseinsstufe erreichen. Sie wird ja auch
als die sogenannten Wechseljahre gekennzeichnet. Bis vor kurzem wurde
dabei der Frau auch immer noch, ob ihrer beginnenden „Unfruchtbarkeit“,
ein Unwertgefühl eingeredet. Ich denke jedoch, darüber sind viele
inzwischen hinaus. Unsere wirkliche weibliche Fruchtbarkeit, die
nicht nur aus dem Gebären können besteht, lassen wir nie hinter
uns.
Das, was mit dem Wechsel beginnt, ist
die Großmutterzeit, in der wir noch mal alles geben. Wir platzen
nahezu aus allen Nähten mit unseren Erfahrungen - einem neuen und
alten Wissen - und der Ungebundenheit von dem Jugend- und
Paar-fixierten, engstirnigen Mainstream.
Vor einem Jahr schrieb ich in meinem
Blog die Erinnerung* an einen bedeutsamen Tag auf:
…. und da stand ich vor dem Bettchen. Vor mir lag winzig und wie verloren auf weißem Grund ein Neugeborenes, mein erstes Kindeskind, die Tochter meiner Tochter. In mir brach etwas auf, was ich inzwischen fast vergessen hatte, was ich erledigt glaubte, was bis eben unvorstellbar schien. Mich überrollte eine goldene Flut des Erkennens und die Gewissheit: Das ist eines meiner Kinder.
Sie sah aus wie einst ihre Mutter und sie schien in meinen Arm zu fliegen. Es war alles wieder da: Die Glückseligkeit, ein klitzekleines Baby im Arm halten zu können! Ich konnte den unverkennbaren Duft von neuem Leben einatmen. Haut spüren wie sie nur diese ganz kleinen Menschen haben und ein Seidenpapier dagegen grobkörnig erscheint. Sie war mein Kindeskind und ich war ihre Großmutter.
Ich hatte nichts dafür tun müssen, außer fünfundzwanzig Jahren zuvor selbst ein Kind zur Welt zu bringen, es groß zu ziehen. Jetzt gab es diese Potenz meines Kindes...
…. und da stand ich vor dem Bettchen. Vor mir lag winzig und wie verloren auf weißem Grund ein Neugeborenes, mein erstes Kindeskind, die Tochter meiner Tochter. In mir brach etwas auf, was ich inzwischen fast vergessen hatte, was ich erledigt glaubte, was bis eben unvorstellbar schien. Mich überrollte eine goldene Flut des Erkennens und die Gewissheit: Das ist eines meiner Kinder.
Sie sah aus wie einst ihre Mutter und sie schien in meinen Arm zu fliegen. Es war alles wieder da: Die Glückseligkeit, ein klitzekleines Baby im Arm halten zu können! Ich konnte den unverkennbaren Duft von neuem Leben einatmen. Haut spüren wie sie nur diese ganz kleinen Menschen haben und ein Seidenpapier dagegen grobkörnig erscheint. Sie war mein Kindeskind und ich war ihre Großmutter.
Ich hatte nichts dafür tun müssen, außer fünfundzwanzig Jahren zuvor selbst ein Kind zur Welt zu bringen, es groß zu ziehen. Jetzt gab es diese Potenz meines Kindes...
Die Großmutterzeit, die Phase der Weisen Alten - so meine beglückende Erfahrung - beinhaltet ständig und in vieler Hinsicht das wunderbare NeugeborenWerden. Und sollte hier und da eine Großmutter sein, die das nicht so fühlt - das kommt schon noch! Werden wir also so oft es geht neu geboren...
(*es
ist auch ein Ausschnitt aus meinem Vortrag Die
Großmutter bin ich)
1 Kommentar:
da in meinem blog eine junge mutter mitliest habe ich meinen beitrag heute nicht so ausgeführt wie ich zunächst vorhatte
und er war so meilenweit von neugeboren entfernt wie nur vorstellbar
gestern als ich in meiner kleinen freude die filme ansah
platzten mir die nachrichten hinein
und heute morgen habe ich nur kurz bei google news reingeschaut
und habe das gefühl
die zeit des gebärens ist vorbei
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da fällt mir ein
genau das hat mir eine kollegin gesagt als ich das erste mal schwanger war
und ich hab trotzig gedacht
jetzt erst recht
so hat sich wohl die menschheit erhalten...
lg birgit
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