15 Dezember 2010

Zirkustrauma


… ich war noch ein ganz kleines Mädchen, als ein Zirkus in die Stadt kam, in deren Nähe wir wohnten. Auf dem große Platz unterhalb des Domes stand eine riesiges Gebilde aus festem Stoff, Gestänge und unvorstellbar vielen Seilen. Nie wieder habe ich ein Zelt in dieser Größenordnung gesehen. Es war ein Zirkus mit drei Manegen - Menschenmengen, dröhnend laute Musik, eine faschingsähnliche Ausnahmebuntheit. 

Ich saß mit offenem Mund auf meiner Holzbank und konnte es einfach nicht fassen wie alles so gleichzeitig und scheinbar ungeordnet vor meinen Augen ablief. Nichts konnte ich mir in Ruhe ansehen, nichts wirklich festhalten. Tiere und Menschen, Bälle und Kegel, Podeste und Käfiggitter wechselten sich in rasanter Folge ab. Es war grauenhaft! 

In einem Rund tobte eine weiße Pudelnummer, im anderen verknotete sich eine dünne junge Frau auf einer drehenden Scheibe und in der dritten Manege machte ein Elefant Männchen, was ich obszön gefunden hätte, wäre mir die Bedeutung des Wortes geläufig gewesen. Ich wandte mein Köpfchen hin und her, dass die blonden Zöpfchen flogen und versuchte von meinem Platz in einem der oberen Rängen die pausenlos wechselnden Ereignisse zu verfolgen. Ich wünschte mir Zeitlupe, obwohl ich keine Ahnung hatte, dass es so etwas gab. Von mir aus hätten die Kinder der Akrobaten ganz oben auf den menschlichen Pyramiden regungslos stehen können, während die Clowns ihr buntes Auto reparierten und die Pferde mit den üppigen Federbüschen auf den Köpfen ganz langsam in ihrer Manege kreisten. Das nicht enden wollende Gewimmel und das Tempo bereitete mir fast körperliche Schmerzen.

Ich verließ das Zirkuszelt mit der, tief in mir drin sich ausbreitenden Gewissheit, dass ich so eine Veranstaltung nicht noch einmal bräuchte, denn wahrscheinlich hatte ich jetzt und hier alle Zirkusnummern dieser Welt bereits gesehen.

Ich glaube, es hätte mir auch völlig ausgereicht, wenn die fliegenden Artisten unter der Zeltkuppel wie reife Äpfel in das gigantische Netz geplumpst wären, der Tiger dem Dompteur den Kopf abgebissen und ich mit den Kindern und den Hunden in der großen mittleren Manege einfach nur zwei Stunden hätte spielen dürfen...


Petra A. Bauer forderte in ihrem Blog anlässlich der Adventskalenderverlosung die Teilnehmer heute auf, min. 40 Worte zum Thema Zirkus zu verlieren. 40 Worte... ha... ich kann nicht so kurz oder bräuchte dazu viel mehr Zeit... aber es schien mir die Gelegenheit mein Kindheitstrauma den Zirkus betreffend einmal ernsthaft anzugehen. Denn noch heute wache ich manchmal schreiend auf, weil mir träumte, ein dicker Elefant steht auf meinem Balkon und trötet, während Artisten und Clowns über meine Möbel springen...


7 Kommentare:

frieda hat gesagt…

Hallo Stephanie,
das kommt mir "bekannt" vor... Nein, nicht vom Zirkus her, aber in anderen Situationen. Ist wohl eine HSP-typische Sache. Zuviele Eindrücke auf einmal oder in zu kurzer Zeit kann man nicht wuppen, das "erschlägt" einen sozusagen.
Bei mir geht auch alles "langsamer" - nicht wirklich (eigentlich sogar "schneller"..) - aber nach aussen hin. Da viel mehr (Neben- und Begleit-)Eindrücke GLEICHZEITIG durch die Rübe sausen. Bei "nomalen" Leuten (also Nicht-Hochsensiblen) gehen viel wengier Infos mit einer Sache gleichzeitig rein. Darum können "normale" Leute auch vermeintlich mehr ab. Genauer betrachtet sind allerdings die HSP's die durchtrainierteren, da sie ständig, dauernd, minütlich eine immense Lawine von Eindrücken verkraften müssen (Geräusche, Licht, Gelaber, usw).

Wenn ich wirklich etwas *geniessen* will, muss ich es "dehnen", "entzerren" - so ähnlich wie die von dir gewünschte Zeitlupe.

Von daher bin ich auch z.B. mit Action-Filmen oder ähnlichem total überfordert. Habe mich früher auch immer gewundert, was die anderen Jugendlichen an den James-Bond-Filmen so begeistert hat. Ich habe aus Solidaritäts-Gründen manchmal mitgeguckt - aber wenn der Film dann zuende war, war ich ganz erstaunt - wusste bis dahin immer noch nicht, wer nun eigentlich die Guten und die Bösen waren, wer wen verfogt hat, geschweige denn warum. Und warum der Film an dieser Stelle zuende war. Nichts begriffen. War nur ein hektisches Geschiesse, Gefahre, Gelaufe, verbales Gestümper, für mich alles komplett sinnfrei......

Sica hat gesagt…

Hallo, einen Elefanten Männchen machen zu lassen, ist wirklich nur durch Tierquälerei zu erreichen - durch Stromschläge oder so.

Aber heute stirbt (hoffentlich) solche Art Zirkus aus...Jedenfalls ist man dabei, sie abzuschaffen.

Den letzten Zirkus, den ich besucht habe, war der Chinesische Staatszirkuss und das war wunderschön...

LG

birgit hat gesagt…

mein zirkustrauma kommt daher, dass dem kleinen zirkus das zelt wegflog und sie baten um futter
ich habe den affen die banane in den käfig reingestreckt
einer hat meinen arm festgehalten und der andere hat mich gebissen
und meine tochter hat jahrzehnte später in einem kleinen tierpark das gleiche veranstaltet
liebe grüße birgit

Grey Owl Calluna hat gesagt…

Liebe Stephanie!
Eigentlich dachte ich immer, dass Zirkus die Kinder erheitern sollte.....
Ja, ich weiß sehr wohl, was Du meinst. Ich konnte es früher zwar noch nicht in Worte fassen, aber mir ging es ähnlich wie Dir, und ich fand es auch gemein, die Tiere zu Sachen zu zwingen, die sie so eigentlich nicht tun.
Später war ich in einem Zoo, wo Kannienchen in einem so engen Stall saßen,dass sie mir richtig leid taten.
Beides ist seitdem für mich gestorben....
Sei ganz lieb gegrüßt
Rosi

Karin hat gesagt…

Als Kind hat mich nicht so sehr interessiert was in der Manage war. Ich kannte nur diese kleinen Wanderzirkusse, ich fand es spannend das die Menschen dort in Wohnwagen lebten und umherreisten. Später hat mich Roncalli verzaubert.
Dann als ich erwachsen (oder gross trifft es besser) wurde, sah ich natürlich auch die Macken und heute habe ich mit Zirkus nichts mehr am Hut. Alles Liebe Karin

Stephanie hat gesagt…

liebe Frieda,
da sagst du was, ich glaube ich schreib dir mal eine Email zu dem Thema...
liebe Grüße Stephanie


liebe Sica
da hast du recht, ich möchte auch nicht wissen wollen was immer so hinter Dressur steckt, für mich muss ein Tier gar nichts können, nur da sein, möglichst in seinem natürlichen Lebensraum.
Menschendressur finde auch etwas fragwürdig...
beste Grüße Stephanie



liebe Birgit
so richtige kleine Zirküsse (oder wie ist der Plural von Zirkus?) hatten für mich säter dann das Flair eines exotischen Ponyhofs, aber richtig warm werde ich mit dem zirzessischen Ambiete immer noch nicht.
Ich füttere nicht mal Enten wenn ein Hinweisschild da steht ;-)))
allerfeinste Grüße Stephanie

Stephanie hat gesagt…

liebe Grey Owl
... ich bin mir nicht sicher, dass die Entstehung der Zirkusdarbietungen zur Erheiterung der Kinder gedacht war, wenn ich da so an Brot und Spiele und Circus Maximus denke...
liebste Grüße Stephanie



liebe Karin
das Zirkuswanderleben kann schon eine Faszination ausüben und nach dem Lesen entsprechender Kinder-Literatur, wie "Nina vom Zirkus", war ich mir ganz sicher, ich wäre mit keinem Zirkus davon gelaufen!
...auch bei Roncalli hat sich eine Menge geändert und er erscheint nur als gelegentlicher Arbeitgeber meiner Tochter in meinem Fokus
allerfeinste Grüße Stephanie