30 April 2013

Matrifokal


Von der Idee die Muttersippe wieder aufleben zu lassen
ein Kommentar von Stephanie Ursula Gogolin

... vor ein paar Wochen dümpelte im Netz die Testpedition: Gesetzliche Einführung eines alternativen Familienmodells zur Ehe (wahlweise)* vor sich hin. Die Petition ist bei 52 Stimmen steckengeblieben. Da das seit Jahren mein Thema ist, ich fasse hierzu meine Gedanken zusammen:
Im Gegensatz zu herkömmlichen Meinungen gibt es imho keine alternativen Familienmodelle, sondern nur verschiedene Spielarten des Klassikers „Familie“. Die Grundlage der Familie ist immer das Paarkonstrukt auf der Grundlage von Sexualität und (romantischer) Liebe und, heute mehr denn je, unter Ausschluss der Herkunftsangehörigen - sprich unseren Blutsverwandten. Zwischen der Intention einer Familie und der wie neu daher kommenden Idee eines sogenannten Matriclan, der auf der konsanguinen**, der natürlichen Müttergemeinschaft fußt, liegen daher Welten.
Denken wir doch bitte daran, was die „Familie“ einst eigentlich war - der Herrschaftsbereich eines privilegierten Mannes. Mag sich auch in unserer derzeitigen Kultur inzwischen diese Bedeutung verwischt haben und der modern daher kommende Trend hin zum partnerschaftlichen Paar gehen, es bleibt doch ein bestimmter Effekt bestehend: Zwei Fremde (Nicht-Verwandte) verbinden sich per Bereitschaftserklärung zu einem Paar mit der Absicht ab sofort in allen Bereichen ein gemeinsames Leben führen zu wollen. 
Das muss heutzutage nicht mehr unbedingt in einer bindenden Eheschließung enden, denn die unverbindlich-verbindliche Beziehung ist schon länger gesellschaftsfähig geworden. Manche probieren dabei ihr ganzes Leben lang aus, ob der jeweils Andere der „Richtige“ ist und manchmal ist es ein ständiges Kommen und Gehen. Die meisten der Paare leben dann in einer seriellen Monogamie und betreiben nebenbei eine Kleinfamilie. Unsere Gesellschaft ist daher heute zunehmend von der Familienspielart „Patchworkfamilie“ durchsetzt, in der die Kinder bereits die, von ihnen zukünftig erwartete, Flexibilität üben können, die das Wirtschaftsleben ausmacht.
Die Beinahe-Gleichberechtigung der Frau in unserer Gesellschaft lässt uns immer wieder gern übersehen, dass die bestehende Gesetzeslage vor allem die eheliche Verbindung, sprich das heteronormative Paar, schützt und fördert. Das Ehepaar gilt als klassische Grundlage der Familie und schließt inzwischen außer den Kindern, alle anderen Mitglieder beider Herkunftsfamilien rechtlich aus. Ein Gemeinschaftsleben im matrilinear-matrifokalen Verständnis ist derzeit weder im Mainstream noch in den Gesetzen des Staates vorgesehen. Das gilt es zu ändern.
Der hier als Alternative aufgezeigte Matriclan hat als Grundlage die Struktur einer Muttersippe, matrilinear und matrilokal, also so wie sich ursprünglich die Basis des menschlichen Zusammenlebens gestaltete. Dass die konsanguine Matrigemeinschaft, hier Matriclan genannt, nicht nur wirklich eine Alternative zur etablierten Kleinfamilie wäre, sondern bestimmt die bessere Variante sein wird, wurde in dem avaaz – Vorschlag klar benannt. Natürlich ist dieses Projekt noch lange nicht zu Ende gedacht. Vielleicht ist es in manchen Punkten noch zu futuristisch, aber es besitzt das Potential zur Bewegung anzuwachsen - ähnlich der nicht mehr tot zu kriegenden Idee des Bedingungslosen Grundeinkommen. Und ich bin überzeugt, die beiden Ideen bedingen einander und werden eines Tages in der Praxis zusammenwachsen.
Es geht bei dem Gedanken die Muttersippe rechtlich zu konstituieren, auch nicht um eine Erlaubnis für Frauen matrilinear leben dürfen, wie bereits vermutet wurde, sondern um die Forderung nach kollektiver Anerkennung und der selbstverständlichen Unterstützung dieser Lebensweise durch die Gesellschaft, auch in Form einer gesetzlichen Absicherung.
Ein matrilineares Gemeinschaftsleben kommt gegenwärtig jedenfalls sehr wenigen Frauen in den Sinn und wird eher als gestriges Gebaren angesehen. Das derzeitige Familienverständnis endet bei Vater-Mutter-Kind und die frühzeitig abgenabelten Teile der Herkunftsfamilien werden nur noch latent dazugerechnet. In der klassischen (Klein)Familie erfolgt im Erwachsenenalter nicht nur eine körperliche Distanzierung von den Angehörigen, sondern es entsteht dabei auch eine, manchmal irreversible, Trennung im Geiste. 
Das ist der bestehende entscheidende Unterschied zu einer konsanguinen Matrigemeinschaft, die sich auf die dauerhafte Zugehörigkeit zu den konsanguinen Verwandten stützt.
Die ohnehin vom patriarchösen System nicht gern gesehene Mutter-Kind-Bindung löst sich unter dem Abnablungsdogma Schritt für Schritt auf und hinterlässt bei Tochter und Sohn eine Leere, die auch noch als nicht gerechtfertigt gebrandmarkt wird. Und um diese Leere des sozialen Vakuums mit Geborgenheit und Verbindlichkeit aufzufüllen, wird uns in unserer Kultur lediglich die Paarbeziehung mit einem, uns bis dahin unbekannten, Menschen empfohlen.
Wenn wir die Idee einer 'Lebensgemeinschaft in Mütterlicher Linie' etablieren wollen, ist die gesellschaftliche Anerkennung auch innerhalb der Gesetzgebung eine zwingende Voraussetzung. Die Grundlage bisheriger Gemeinschaften und Gesellschaften sind und waren immer die natürlichen, die innigen und tragenden, Bindungsgeflechte der konsanguinen Angehörigen. Diese evolutionäre Strategie des Menschen in einer natürlichen (biologischen), mutterbezogenen Ordnung zu leben, wird seit Jahrhunderten durch das patriarchöse System gründlich ausgehebelt.
Einer der entscheidenden Eckpunkte des angedachten Matriclans ist, dass keine sexuell bezogenen Verhältnisse den Zusammenhalt einer solchen Lebensgemeinschaft bestimmen. Dem gegenüber ist heute mehr denn je das erotische (sexualisierte) Liebesverhältnis sowohl für die Ehe (und für andere Paarbeziehungen) eine selbstverständliche, ja zwingende Voraussetzung. Diese Ausgangsposition würde im Matriclan bzw. der Muttersippe entfallen. Die natürliche, matrilineare Verwandtschaft zwischen Angehörigen bildet die einzige Grundlage dieser neu zu etablierenden Lebens-, Fürsorge- und Wirtschaftsgemeinschaft, welche gesetzlich zu schützen wäre.
Wenn ich also zum Beispiel mit meiner Tochter und ihren Kindern eine solche Sippenstruktur praktizieren möchte, steht doch erst ein mal folgendes fest: genetisch verwandt sind wir bereits, also noch mehr an Zugehörigkeit geht gar nicht. In unserem derzeitigen Verständnis jedoch sind Erwachsene autonom und werden solange als ungebunden angesehen, bis sie sich zu einem (nichtverwandten) Partner zugehörig erklären. Diese Art Partnerschaft ist derzeit die einzige legitime und als förderungswürdig angesehene Lebensgemeinschaft – wobei der Ehe immer noch die höchsten Weihen zugesprochen werden. Auch eine eingetragene Lebenspartnerschaft reicht rechtlich noch nicht völlig an den (von den Kirchen geheiligten) Ehestatus heran.

Die Muttersippe würde also im persönlichen Zusammenleben und der gemeinsamen Haushaltsführung genauso anerkannt sein wie ein Ehe/Familie. Es wäre weder der Segen einer Kirche noch die Trauung vor einem Standesbeamten erforderlich, um die Angehörigen der Muttersippe für zusammengehörig zu erklären, denn das sind sie ja bereits von Geburt an. Wenn diese konsanguine Lebensgemeinschaft arriviert und eingeführt wird, würde daher lediglich der Urzustand des menschlichen Zusammenlebens wieder hergestellt und damit die generationsübergreifende Fürsorge für alle Angehörige ganz selbstverständlich vorausgesetzt.
Bisher hat das praktizierte Patriarchat verhindert, dass starke Weiber- und Mutterbande erhalten blieben. Trotzdem gab es, wir können es zwischen den Zeilen der Märchen oder in den eigenen Herzen lesen, einen Ort, den die Menschen in ihrer Seele, als Haus der Mutter abspeichern – es ist der natürliche, aber derzeit unterdrückte Drang nach der Rückbindung an das mütterliche Energiefeld und somit an die Herkunftssippe. Die Suche nach der verlorenen Geborgenheit ist eine Grundstimmung in unserer Gesellschaftskultur.
Ich bin überzeugt dass bei vielen, wenn auch vielleicht nur diffus, diese dauernde Sehnsucht vorhanden ist. 

Da sich Töchter schon lange nicht mehr im natürlich-mütterlichen Geist bewegen und sie auf die (lebenslange) "Bindung" zu einem Mann geprägt werden, wird versucht diese latente Sehnsucht in der romantisch verbrämten Liebe auf Lebenszeit zu stillen. 
Die weiblichen Energiefelder einer mütterlichen Sippenstruktur sind als Kraftquell längst vergessen. Inzwischen gelten maskuline Werte und eine Herkunftsbindung wird im patriarchalen Verständnis, über die (Pseudo)Vaterlinie festgeschrieben - die Bedeutung der Mutter verblasste immer mehr.
Es geht hier also nicht um einen sogenannten Wahlclan oder um eine "Ehe" unter Frauen oder um die Erweiterung der Eingetragenen Lebensgemeinschaften zwischen Fremden, sondern um nichts weniger als die Legalisierung der Sippenzugehörigkeit in der mütterlicher Linie. Also um die Akzeptanz der urtümlichen, natürlichen und artgerechten Lebensgemeinschaft, bestehend aus weiblichen Blutsverwandten als Gründerinnen sowie den angehörigen Söhnen und Brüdern. Noch mehr verwandt als Mutter – Tochter / Sohn - Tochterskinder ist nicht möglich.
Das erotische Begehren bzw. eine sexuelle, auf einenPartner gerichtete, Betätigung fände außerhalb dieser matrifokalen Lebensgemeinschaft statt. Daher wäre es auch angesagt, die nun mehr veralteten Inzestgesetze zu reformieren. 
Die klassische Ehe, als patriarchal verordnete Institution, wurde im christlich geprägten Abendland, als einziger Ort der legitimierten Sexualität bestimmt und die Ehe wiederum gilt immer noch als die Basis der (Klein)Familie. Der Geist der Institution Familie besteht nach wie vor darin den Mann als den Herr des Hauses vorauszusetzen, selbst wenn er nicht anwesend ist. Wenn beispielsweise drei erwachsene und konsanguin** mit einander verwandte Frauen eine Lebensgemeinschaft bilden, gelten sie trotzdem vor dem Gesetz als alleinstehend, da sie keinen Mann (nichtverwandten Partner) haben und ihr Zusammenleben bekommt in den Augen der Öffentlichkeit eine Art WG-Charakter.
Es gilt also eine echte Alternative zur Ehe/Familie anzustreben und die bereits bestehenden konsanguinen Verwandtschaftsverhältnisse offiziell (gesetzlich) als Lebensgemeinschaft anzuerkennen. Und diese müssten in unserer Gesellschaft genauso gefördert werden, wie die klassische Ehe mit Familienstatus, da hier vor allem auch die Kinder aufgezogen würden und sich die unangemessene Bezeichnung "Alleinerziehend" damit auch erledigt.
Der Hauptaspekt, der hier angedachten Lebensgemeinschaft Matriclan bzw. Muttersippe oder auch Matrifokal, ist der generationsübergreifende und geschwisterliche Effekt des Zusammenlebens und somit Voraussetzung für das geborgene Eingebettetsein der Kinder in eine verlässliche Sippengemeinschaft.
Bisher läuft es im gesellschaftlichen Verständnis und in der Gesetzeslage so ab - wenn ein älteres Ehepaar oder auch nur eine Mutter oder ein Vater mit seinen bereits erwachsenen Kindern in einem gemeinsamen Haushalt oder unter einen Dach zusammenlebt, so ist das zwar möglich, wird jedoch bei aller natürlichen Bindung nicht als Lebensgemeinschaft offiziell anerkannt. Jeder Erwachsene, außer den Eheleuten zählt einzeln (und wird auch entsprechend versteuert). Auch wenn (kleine) Kinder zu einer Person gehören, bilden sie mit ihrer derzeit ungebunden Mutter (oder auch Vater) eine eigene Lebensgemeinschaft und diese fallen dann unter den Begriff der Alleinerziehenden. Und wie gesagt empfinde ich es als absurd, dass sowohl vor dem Gesetz sowie durch den Mainstream jeder Erwachsene grundsätzlich ab der Volljährigkeit als autonome "Lebensgemeinschaft" gehandelt wird und erst eine erfolgte Paarbildung gilt als ordentlicher Schritt zur Familiengründung... man heiratet oder tut sich in einer Beziehung zusammen. Damit beginnt auch die gegenseitige Fürsorgepflicht (in guten wie in schlechten Tagen usw.), die der Paarbeziehung zugeordnet wird. 
Alle anderen (nach wie vor bestehenden) Verwandtschaftsbeziehungen rücken endgültig in die zweite Reihe. Demnach ist in unserem modernen Verständnis die sogenannte Blutsverwandtschaft nur im Kindesalter wirklich relevant. Natürlich bleibt eine gewisse moralische (und bedingt gesetzliche) Pflicht sich bspw. um pflegebedürftige Eltern zu kümmern, schließlich bleibt das Verwandtschaftsverhältnis bestehen, aber wie bekannt genießt der (amtierende bzw. angeheiratete) Partner immer die Vorrangstellung.
Der noch vor Jahrzehnten in der patriarchalen Familienstruktur beschworene Zusammenhalt hat sich in den heutigen Tagen sehr gelockert. Die zu einem Berufsalltag gehörende Verhinderung von Nähe stört auch ein kontinuierliches Festigen der Familienbande. Daher ist Fürsorge und Pflege innerhalb der Herkunftsfamilien zwar immer noch durchaus üblich, gesellschaftlich gesehen jedoch weder eine anerkannte noch geschätzte Arbeit. Diese Zuwendung wird im Alltag neben der Familienarbeit und der honorierten Erwerbstätigkeiten irgendwie verquetscht. In der Regel betrifft diese dreifache Belastung dann die Frau - die Familienmutter.
Ich bin daher sehr wohl dafür, den „Matriclan“ - Vorschlag mit aller Kraft zu unterstützen, denn seine Ziele erscheinen mir förderungswürdig, obwohl der letzte Punkt mir noch sehr als Zukunftsmusik erscheint:
  • Verstärkter Schutz von Müttern und Kindern
  • Lückenlose Betreuung von Kindern, Alten und Pflegebedürftigen
  • Gewaltfreies Zusammenleben in einem intakten sozialen Verbund
  • Perspektivisch ökologischer Landbau und Subsistenzwirtschaft als Lebensgrundlage

(* https://secure.avaaz.org/de/petition/Gesetzliche_Einfuhrung_eines_alternativen_Familienmodells_zur_Ehe_wahlweise

(** verwandt durch Geburt in mütterlichen Linie
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22 April 2013

Über die Grausamkeit in Märchen


Ich hörte und las als Kind Märchen, ohne immer deren wirklichen tieferen Sinn zu erahnen. Später liebte ich jede Art von historischem Roman. Im Prinzip sind diese auch nichts anderes als anders aufbereitete Märchen für Erwachsene. Denn auch ein Märchen – eine Mär - ist eine durch Weitersagen hundertfach gewandelte, fantasievoll ausgeschmückte und doch erinnerte wahre Kunde. Die überlieferten Märchen sind Dokumente aus vergangenen Zeiten, das sogenannte herabgesunkenes Kulturgut und leider sind sie ohne verbindliche Zeitangabe. „Es war einmal...“ oder „...vor langer Zeit trug es sich zu...“ - wir kennen das ja.

Geschichte war in der Schule eines meiner Lieblingsfächer und ich nehme heute noch begierig alles auf, was mich an die vergangenen Zeiten anschließt. Ich bin mehr denn je an Geschichte interessiert. Aber mein Interesse und meine Kenntnisse erstrecken sich nicht nur über die, mir einst zur Verfügung gestellten und oft kärgliche und fehlinterpretierte Faktenlage, sondern ich werte viel mehr selbst Alles aus. Ich stelle dabei Querverbindungen her, die sonst so nicht üblich sind. Für mich steckt in allem eine Spur, die uns hilft unsere lange matrifokale und später patriarchale Menschengeschichte zu verstehen. Für mich sind ganz andere Fakten und Hinweise relevant – nicht alles ist ein Kultgegenstand und nicht jede gefundene Speerspitze ist der Ausdruck schlechthin von beginnender Kultur.
Inzwischen kenne ich mich ganz gut aus in der Welt meiner (unserer) Ahninnen. Auch weil ich mich schon lange mit all meinen Sinnen, meinem Wissen und meiner mir zur Verfügung stehenden Imagination, in den Welten der Vergangenheit (und der Zukunft) aufhalte. 

Das anfängliche Menschenleben beinhaltete neben einem simpel und zufriedenstellenden und bestimmt auch glücklich erlebten Alltag, ebenso Schmerz, Leid (Verlust) und Tod, aber eben im Naturbereich. Und eines Tages fingen die Menschen an, alles was sie erlebt hatten und dessen sie sich erinnerten, bewusst an ihre Nachkommen weiterzugeben. Geschichten und Geschichte ist ein und das Selbe, denn auch unsere Fantasie schöpft nur aus tatsächlichen Überlieferungen oder selbst gemachten Erfahrungen. 

Das überlieferte Märchen ist kein unwirkliches Fantasieprodukt, so wie heute der Begriff Märchen manchmal gebraucht wird. Allerdings bietet es viele (literarische) Möglichkeiten, z.B. können die aktuellen gesellschaftlichen oder politischen Verhältnisse kritisiert werden, indem wir sie in vergangene Zeiten verlegen. Bestehende kulturelle Verhältnisse und neue Ideologien sickern absichtlich oder unwissend in die Berichte der Ereignisse ein, die vor langer Zeit statt gefunden haben. Oder vielleicht getarnt als Moral und Sittlichkeit oder als Trost in trostlosen Zeiten. Auch die uns nicht unbekannte Vorstellung von den „guten“ vergangenen (alten) Zeiten speist sich aus dieser Quelle.

Doch genug Vorrede, kommen wir zu all den Märchen, die ob der in ihnen vorkommenden Grausamkeiten getadelt werden und heute nur modifiziert in die Kinderzimmer vordringen dürfen. Und da gilt es erst einmal die Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, dass die erzählte Mär und die weitergesagte Sage, nicht als harmlose Gute-Nacht-Geschichte für Kinder in die Welt gesetzt wurde. Märchen waren Unterhaltung für Erwachsene bevor sie als bunte Klischees in heutigen Kinderzimmern landeten.
 

Die Grausamkeit, die zur Grundausstattung vieler Märchen gehört, steht vor allem für eines: für die Ungeheuerlichkeit einer tatsächlich vorangegangenen, einer begangenen Tat. Auch in all den Märchen wird letztendlich über tatsächliche Geschehnisse berichtet und sie dienten auch der Verarbeitung von Erlebnissen oder als Vorbereitung auf eventuell erfolgende Gräuel. 

Denn Grausamkeit, so wie Gewaltverhalten und jede Form von Herrschaftswillkür, einmal in die Welt gesetzt, breitet sich aus und ist nur schwer einzudämmen. Dann kommen früher oder später Vergeltung und Rache ins Spiel und manchmal beginnt es mit dem Gedanken, dass Angriff die beste Verteidigung sei. Begangene Grausamkeiten mit erneuten Grausamkeiten zu sühnen finden wir als gängige Praxis schon in alttestamentarischen Zeiten (Auge um Auge, Zahn um Zahn). Die Menschheit hat dafür ein epigenetisches und memisches Gedächtnis entwickelt, so wie lebendige Körper ein Schmerzgedächtis anlegen (Erfahrungsgedächtnis).

Hier spielt aber auch die kulturelle Komponente Gräuel, Schmerz und Furcht zu verbreiten oder ertragen zu müssen eine nachhaltige (patriopathische) Rolle. Denn Formen absichtlich begangener Grausamkeit wurde mit (kulturell entstandem) Kalkül etabliert. Es dürfte sich hier also um eine (kollektive) Konditionierung zur Akzeptanz von Grausamkeit handeln. Diese real durchgeführten rigiden Bestrafung zur Abschreckung bei (tatsächlichem und vermeindlichen) gemeinschaftsschädlichem Fehlverhalten durch die jeweilige Exekutive der aktuellen Herrschaftsmacht wurde demonstrativ angewendet. Und damit sind wir bereits mittendrin in dem gut funktionierenden patristischen System.
 

Mögen die Grundlagen unserer sehr alten Märchen noch scheinbar aus Zeiten stammen, da „Gewalt“ noch Walten und Wirken bedeutete, also eher mit verwalten übereinstimmte und nicht als Synonym für (männliche) Willkür, Repressalien, Unterdrückung, Regression und Abschlachten daherkam. Die Jahrhunderte bzw. -tausende der Grausamkeiten und des Blutvergießens haben leider trotzdem ihre Spuren in den Mären hinterlassen, auch in denen die einst von friedlichen Zeiten oder der Sehnsucht nach diesen, berichteten. Die Geschichte veränderte sich und mit ihr die Geschichten. 

Sicher gibt es immer noch Märchen, die von guten Entwicklungen, von Bewältigung des Alltags oder liebenswerter Tolpatschigkeit handeln und in denen niemand Schaden an Leib und Leben nimmt. Aber wir haben uns auch an ein gewisses Gewaltpotential gewöhnt und „harmlose Literatur“ für Erwachsene und Kinder ist heute scheinbar uncool. Krimi-Literatur und -Filme boomen immer noch. Mich wundert das nicht. Schließlich sind ja mehrere Generationen mit Hänsel und Gretel und der bösen Knusperhexe aufgewachsen und für bestimmte (männliche) Zielgruppen werden mehr denn je wilden Spielen, Action und Wettkampf kreiert, als virtueller Ersatz für reale körperliche Aktivität.
Auch die heute geschriebenen Geschichten für Kinder und Jugendliche gehen für den jugendlichen Protagonisten kaum noch ohne ein gerüttelt Maß an Gefahr, Herausforderung, risikoreiche Betriebsamkeit und dem berühmten Kampf „Gut gegen Böse“ durch. Harry Potter ist das Paradebeispiel dafür.

Aber bleiben wir bei 'Hänsel und Gretel oder Die Knusperhexe' - dieses Märchen eignet sich in vieler Hinsicht gut, die uns bekannte und verharmloste Märchengrausamkeit zu untersuchen.

Einen Menschen bei vollem Bewusstsein und absichtlich zu verbrennen und dabei noch zuzusehen, ist für mich eine unvorstellbare Entsetzlichkeit, ein so furchtbarer Gedanke, das ich den eigentlich nicht zulassen kann. Im Märchen wird diese unvorstellbare Brutalität verniedlicht. Natürlich geschah es der „bösen“ Hexe recht – hat sie doch die Kinder bedroht und Gretel sah keine andere Möglichkeit sich und ihren Bruder zu retten, als die Hexe ins Feuer des Backofen zu stoßen. Denn diese hat den Kindern angedroht, sie zu fressen. 

"Gretel lief fort und die gottlose Hexe musste elendiglich verbrennen."- Das arme Mädchen war auf sich gestellt, niemand, auch der Bruder nicht konnte ihr helfen. Und dazu kam noch ihre zuvor gemachten Erfahrungen: die einzige, ihr nahestehende Frau, ihre Mutter, hatte sie bereits verraten und ihren Bruder und sie im Wald ausgesetzt. Da sehen wir dem Mädchen ihre Tat, die Tötung der Hexe, gern nach und plädieren selbstverständlich auf Notwehr. Außerdem ist bekanntermaßen eine Hexe per se böse und es ist normal, dass diese geballte weibliche Boshaftigkeit bestraft werden muss, zumal noch einmal ausdrücklich auf die Gottlosigkeit des Hexenweibes hingewiesen wird. Hier wirkt bereits der patriarch(b)öse Geist: die junge Frau vernichtet die Alte.

Dem Geschwisterpaar war es also gelungen zu entkommen und sie kehrten nach Hause zurück. Und da inzwischen die Mutter gestorben war, lebten die Kinder von den Schätzen der Hexe glücklich und in Freunden mit ihrem Vater zusammen. In dieser Märchenvariante gibt es noch viele versteckte Hinweise auf weit zurückliegendes (matrifokales) Brauchtum. Allein dass es um eine, heute fast undenkbare Darstellung geht, die Schwester rettet den Bruder. Ein oft verwendetes Motiv in überlieferten Märchen.

Aber was man gleichzeitig für infamen Darstellungen von Weiblichkeit in der Mär findet ist: die verräterische Mutter, die gottlose Hexe, das mordende Mädchen ... all das gelangt auch heute noch, verharmlost und mit bunten Bildern versehen, Einlass in die Kinderzimmer. 


Vordergründig können wir argumentieren, dass das heutige Kind seinen Alltagsfrust, den es mit der Mutter oder anderen weiblichen Bezugspersonen hat, in Backofengewaltfantasien umsetzt kann und sich so auf der psychischen Ebene zur Wehr setzt. Unterschwellig jedoch lassen wir dabei ganz andere Botschaft zu: Mütter und andere böse Frauen werden vom Schicksal (und ihren Kindern) bestraft, denn sie lassen ihre Kinder im Stich, nutzen sie aus und schaden ihnen. Hier offenbart sich der patriarchale Mütterhass.

Manch eine empfindet heute das klassische Märchen als ein raffiniert eingesetztes Kampfmittel im Krieg gegen die Frau. Ein ungerechter Krieg, der sich leitmotivisch durch die patriarchalisierten Jahrhunderte zieht. Die Märchen fühlen sich dann an, als ob es sich dabei um eine großangelegte Kampagne, um eine gezielte Gehirnwäsche handelt und gerade bei den überlieferten und modern bearbeiten Märchen kommt es mir oft genauso vor.

Die Denkungsart in den Zeiten, da Märchen-Volksgut gesammelt und aufgeschrieben wurde und zudem viele romantisierte Kunstmärchen entstanden, war geprägt durch die Doppelmoral christlicher Werte und patriarchaler Traditionen. Die Märchendichtungen enthielten auch überlieferte Fragmente und in ihnen kam der damalige Mainstream zum Tragen. Ihr Erfolg (siehe Andersen, Hauff, Bechstein) entsprach dem Zeitgegeschmack.

Zudem gab es noch zu Beginn der Aufklärung Prozesse und Todesurteile gegen Hexen. Und als die Gebrüder Grimm ihre Kinder- und Hausmärchen herausbrachten, hatte das (bürgerliche) Gesellschaftsbewusstsein die angebliche Schändlichkeit der Hexen bei weitem nicht vergessen. Noch etwa bis Mitte des 20. Jahrhundert kamen in (West)Deutschland Anschuldigungen wegen Hexerei vor Gericht. Weltweit gesehen hat die Hexenverfolgung nie aufgehört und fordert immer noch Opfer ohne Ende.

Das Märchen war schon immer alles andere als nur eine nette Gute-Nacht-Geschichte. Und deshalb können wir doch nicht allen Ernstes, die real existierenden Exzesse einer patriarchalen Gesellschaft, in die Märchen der letzten Jahrhunderte verpackt, heute unseren Kindern als therapeutische Maßnahme unterjubeln wollen, damit sie sich vom Tun ihrer Mütter distanzieren können. Die in den Märchen geschilderten Grausamkeiten sind eben tatsächliche und real praktizierte Bestrafungen oder Todesurteile gewesen, dessen sollten wir uns immer bewusst sein. Ein Hinweis darauf, wie sich das Menschenbild inzwischen gewandelt hat, wäre als Anmerkung zumindest angebracht.

Mir ist die scheinbar allgemein akzeptierte Feststellung, dass Kinder (welchen Alters?) die Grausamkeit der Märchen
brauchen, in der das „Gute“ siegt und das „Böse“ bestraft wird, zu simpel und zu gestrig. Ich glaube auch nicht wirklich, dass diese Art der Infiltration der kindlichen Psyche und des Geistes, humanes Fühlen fördert und glückliche Menschen hervorbringt. Märchen, in denen Grausamkeiten als drastische Strafe selbstverständlich zelebriert werden, brauchen unsere Kinder nicht!
Denn wie ich schon sagte, das klassische Märchen wie es heute als Kinderliteratur vorliegt war einst Lehrbeispiel und "Unterhaltung" für Erwachsene und gleichzeitig auch so was wie ein (Ekel)Trainig zur Abstumpfung. Weder die Seele, noch der Geist, noch die Körper unserer Kinder braucht virtuelle oder gar konkrete Grausamkeiten als Lebensbeispiele und schon gar nicht als reale Erfahrung.


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22 März 2013

verdrängt aber nicht verloren...

Unsere Mütter, unsere Väter – der dritte Teil dieses bemerkenswerten Dreiteilers ist am Mittwoch gelaufen. Flankiert von etlichen Dokus, Interviews und Talkshows und Medienberichten, wurde das aufwendige Werk in der letzten Tagen ausgestrahlt. Ich muss gestehen, dass es mir noch nicht gelungen ist die drei Filme durchgängig anzusehen*. Scheinbar kam bei mir zuviel an „epigenetischer“ Erinnerung hoch. Wir alle leben mit Erinnerungen, die nicht immer direkt die unseren sind.

Ich wurde 1947 von einer Mutter geboren, die für den Rest ihres Lebens froh war, dass ihre damals sechs vorhandenen Kinder den Krieg und die einjährige Flucht äußerlich unbeschadet überstanden hatten. Selbst in der DDR, wo man stets bemüht war gewisse Aspekte der Nazizeit aufzuarbeiten, wurden zwar die Gräuel des Krieg als solches verdammt, aber auch irgendwie als eine historische Notwendigkeit gehandelt. Ich bin, mit Trümmern vor Augen, in die friedliche Nachkriegszeit hineingewachsen, mit dem persönlichen, durch Verluste geprägten Schicksal meiner Eltern und Geschwister im Schlepptau. Meine Schwester zum Beispiel verlor ihre Heimat, ihr Zuhause und darüber hinaus ihre Kindheit und ein Teil Jugend. Sie hat kein Schlachtfeld erlebt, aber über diese verlorenen Zeit spricht sie auch heute noch nicht gern. Jede Form von Verlust hinterlässt Spuren und der totale Ausnahmezustand, in den ein Kriegsgeschehen die betroffenen Gebiete versetzt, hinterlässt ebenfalls weitreichende Auswirkungen – auch wenn immer noch viele von vergossenem Blut und Tod verschont sind – übriggeblieben ist eine traumatisierte Generation. Auch ich konnte damals als junges, geschichtsinteressiertes Mädchen aus meiner Mutter nicht herausbekommen, was genau sie erlebt hat und wie es sich mit bestimmten Erinnerungen weiterleben lässt.

Der Titel des Filmes spielt jedenfalls darauf an, dass die jungen Leute, die den Krieg erlebten, dann „unsere Mütter und Väter“ waren. Aber was hat es denn nun mit den Müttern dieser Zeit auf sich? Höflich wie man heutzutage ist, wird selbstverständlich die Frau, die Mutter, in dieser Titulierung des Filmdreiteilers, zuerst genannt. Allerdings wirkte diese Nennung der Mütter auf mich hier sehr befremdlich. Als hätten die (im Film nicht gezeigten) Mütter der Kriegstage besondere Anteile an den grausamen Ereignissen. Sie werden rhetorisch auf diese Weise in eine Verantwortung eingebunden, die das eigentlichen Geschehen so nicht hergibt.

Nichts desto trotz hat das ZDF ein Stück Zeitgeschichte verfilmt und dabei ein recht real wirkendes Dokument geschaffen, dass sich nicht nur anzusehen lohnt, sondern auch sehr nachhaltig wirken kann. Thematisiert wird die traumatische Epoche, die mit dem ersten Weltkrieg begann und deren letzte Ausläufer in unserer Zeit immer noch immer nicht verebbt sind. Der gezeigte Schwerpunkt sind fünf Jahre in denen der Zweite Weltkrieg in Mittel- und Osteuropa tobte. Fünf Schicksale werden dabei verfolgt – zwei junge Frauen, drei junge Männer – drei von den Fünf überleben.

Von (dargestellten) Müttern konnte in den drei Teilen kaum die Rede sein, wenn wir mal von der still verzweifelten Mutter der Brüder Wilhelm und Friedhelm absehen. Aber der Titel des Epos ist auch etwas um die Ecke gedacht und meint damit die Vertreter der Generation, die den Krieg intensiv er- und überlebten. Die Frauen und Männer, die nach den Jahren des Grauens Eltern waren oder wurden und danach nicht im Stande waren mit ihren Kindern die Erlebnisse und die Beteiligung an dieser unerträglichen Sinnlosigkeit zu teilen.

Es gibt bald niemanden mehr, der noch dabei gewesen ist... ein Grund mehr diese Stimmen noch zu Wort kommen zu lassen. Die Menschheit hat immer auf die überlieferten Erlebnisse und Erfahrungen der Alten aufgebaut. Und gerade bei dieser kollektiven Horrorerfahrung wurde eher jahrzehntelang auf Schweigen, Vermeiden und Verdrängen gesetzt. Wenn jene die am eigenen Leib diese Erfahrungen machten, nicht mehr sind, fehlt uns das lebendige „Anschauungsmaterial“. Diejenigen, die das Schweigen brachen, wurden auch nicht von allen gehört und schlimmstenfalls gipfelt die Meinung in boshaften Sprüchen, wie „...selber schuld, warum habt ihr mitgemacht!“. Das diese Haltung noch besteht, konnte ich auch jetzt noch bei diversen Pro und Kontra – Kommentaren zu dem Film lesen.

Viele der noch jungen Kommentatoren im Netz haben nicht einmal ansatzweise verstanden, dass hier auch ein Versuch unternommen worden ist ein Schlaglicht auf die Mechanismen der (dauerhaften) Prägungen zu werfen. Wie weit hinein in die nächsten Generationen reichen wohl die Erfahrungen unserer Mütter oder Großmütter, die sie mit Brutalität und einem pervertierten Alltag, mit Denk- und Handlungsverboten machten? Das eigene einfache, alltägliche Agieren wurde vielleicht im Nachhinein als Schuld erkannt. Diffuse Ängste von damals sind immer noch nicht in Worte zu fassen, weil es diese Worte immer noch nicht gibt. Wie soll eine Mutter ihren Kindern unaussprechliche Fakten erklären, wenn es für sie selbst immer noch zu schmerzlich, zu bedrohlich ist und sie allein dafür keine Worte findet? Außerdem ist es auch heute noch gesellschaftlich verpönt bestimmte Dinge beim Namen zu nennen und so es wurde das Verdrängte noch einmal verdrängt. Die geschädigten Kriegs- und Nazi – Opfer – Täter wollten nicht nur nicht hinsehen, sie durften es aus einer kollektiven „Büßerverordnung“ heraus auch nicht. Und dabei wäre bitter nötig gewesen. Nicht um wen frei zu sprechen oder wegen der Moral oder den mehr oder weniger gerechtfertigten Schuldzuweisungen, sondern um eben den künftigen Generationen gewisse Störungen zu erklären oder es ihnen ersparen. Das „ererbte“ Gefühl in den rechten Kontext zu setzen und endlich einen Sinn für epigenetisch motiviertes Fühlen und Agieren zu bekommen, sollte langsam eine bewusste Aufgabe von Müttern werden. Es ist wohl so ein Menschending oder nur ein biologischer Grundzug - alles was wir tun hat Auswirkungen über viele Generationen. Ob wir friedlich leben oder nach wie vor Demagogie, Kriegen oder Hexenjagden ausgesetzt sind, ob wir unseren Kindern Geborgenheit anbieten oder ihnen die Nähe verweigern – es fällt auf uns zurück - persönlich und kollektiv. „Unsere Mütter, unsere Väter“ von einst können ihr Verhalten nachträglich nicht mehr ändern, die gerade amtierende Generation, zu der auch wir Älteren gehören, schon.
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07 Januar 2013

...der Großmutter auf der Spur


Wie wir wissen, folgen die Programme der Suchmaschinen und Verkaufsseiten permanent unseren Spuren im Netz und reagieren auf die Häufigkeit, mit der frau (und ihr PC o.ä.) zu bestimmten Begriffen im WWW unterwegs ist. Als ich vor ein paar Jahren anfing Texte zum Thema Großmutter zu verfassen, schien es mir, als gäbe es keine Großmütter - die Ergebnisse meiner Recherchen konnte ich nur als kläglich bezeichnen. 

Inzwischen hat sich das geändert. Gebe ich jetzt den Begriff "Großmutter" ein, werde ich zugeschüttet mit Hinweisen auf Wikipedia, Spracherklärungen, Rezepten, Haushalts- und Gesundheitstipps, Sprüchen und Gedichten über Großmütter. Aber mich interessiert weniger Großmutters Apfelkuchenrezept oder Sockenstrickmuster, sondern die Wahrnehmung ihres Status und ihrer Wertigkeit in der Gesellschaft. Als nostalgischer Begriff ist die Großmutter inzwischen gut vertreten, als tatkräftige, weiterführende Mutter eher eine Utopie. Und zwar  im Sinne von als den Ort, den es nicht gibt" sowie als Hirngespinst, wie Utopie auch in Kreuzworträtseln bezeichnet wird .

Die Großmutter, als Mutter der (jungen) Mutter, bewegt sich immer noch in dem Spannungsfeld, der als unmöglichen Person wahrgenommenen und latent an sie gestellten Forderung nach Unterstützung, aber ohne Einflussnahme auf das junge Mutterglück. Die Funkstille, die immer wieder aus dieser schwierigen Konstellation entsteht, kann sich schnell verhärten und wird höchst selten von den zunehmend überforderten jüngeren Müttern überwunden. 

Die Großmutter ist also nicht gerade in aller Munde. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, den Begriff „Großmutter“ wo ich nur kann zu nennen und anzuwenden. Aber nicht um auf mich persönlich aufmerksam zu machen oder mich in den Vordergrund zu spielen, sondern um dieses Wort wieder in Umlauf zu bringen und zwar ohne Oma – Kitsch.

Jede Frau jüngeren Alters, die selbst noch keine Großmutter ist, sollte einmal überprüfen, was sie mit dem Wort Großmutter alles so assoziiert und dabei auf ihre Gefühle achten.
Wie und warum, denke ich an die eigene Großmutter und ist mir wirklich nachhaltig klar, dass meine Mutter die Großmutter meiner Kinder ist? 

Oder, dass ich selbst eines Tages Großmutter bin und wie das auf mein Kind wirken wird? 
Und wenn ich keine Kinder habe, ob meine Mutter vielleicht darunter leidet? 
Das hat nichts mit schlechtem Gewissen machen zu tun, denn schließlich muss sich eine jede mit bestimmten Schicksalskonstellationen abfinden - aber... es macht trotzdem etwas mit uns.

Die Bezeichnung als Groß-Mutter, als der „größeren“ Mutter der Mutter, hat in matriarchischen Zusammenhang nichts mit dem patriarchalen Größebegriff von Herrschaft und Determinierung zu tun. Hier, im Mutterland, bezeichnet „Groß“ die Dimension der gewachsenen und entfalteten Lebenspraxis, den Erfahrungsvorlauf mit der daraus resultierende Einsicht und Weitsicht in die naturbezogene Lebenswirklichkeit.

Während das Wort „Alt“ im Allgemeinen in unserer Umgangssprache eine Entwicklung hin zum Negativen und zur Abwertung gemacht hat (wenn etwas wertvoll erscheinen soll, wird der Begriff „Antik“ angewendet), blieb das Wort „Groß“ eher unangetastet, da es mit vielen männlich markierten Begriffen verknüpft ist. Gerade in der Geschichte werden Herrscher, Helden oder Entdecker mit Vorliebe als „groß“ bezeichnet  und
Mann" wird dabei mit gedacht. 

Die GroßeMutter, die Ahnmutter, verschwand mehr und mehr aus der Bedeutungsebene des Alltags und der Gesellschaftssicht. Und es wurde quasi immer unwichtiger von welcher Mutter wir geboren wurden - was zählte war die väterliche Abstammung. Damit gingen die rigiden Strömungen einher das Kinder gebärende Weib als beliebig und somit als austauschbar, anzusehen. Der Nachhall dieser Einstellung ist immer noch sehr deutlich spürbar. Auch heute wird und anscheinend mehr denn je, die Mutter als beliebige Dienstleisterin am Kind wahrgenommen. Und nur weil der Mann derzeit nicht mehr so sehr auf die, mit Verantwortung verbundene, „Abstammung“ fixiert ist, wird einer Mutter in den Grauzonen der Gesetzeslage noch relativ viel Handlungsfreiheit in Bezug auf ihr Kind gestattet. Die deutsche Gesetzgebung ist jedoch seit geraumer Zeit damit zugange dem heutigen (biologischen) Vater möglichst umfassende Rechte am Kind einzuräumen, um ihn wieder in die konventionelle Verantwortungsrolle zu locken, die seinem Großvater noch eine Art Bedürfnis war. 

Da in den gesetzlich geregelten Bereichen mit dem Erreichen der Volljährigkeit und dem Abschluss der Ausbildungsunterstützung die Bindung zu Mutter und Vater sowie zur konsanguinen Verwandtschaft quasi erlischt, scheint auch die Großmutterbindung mehr denn je zu einer privaten Kann - Bestimmung zu verkommen. Bis vor kurzem konnte auch von den Großeltern kaum der Kontakt zu den Enkelkindern „durchgesetzt“ werden. Großmutter (und Großvater) sein, ist heute immer noch eine Art dekorativer Akt unter dem Generalverdacht der verwöhnenden und daher schädlichen Einflussnahme auf den Nachwuchs des eigenen Kindes und dessen Lebenspartners. Für viele scheint meine kritische Betrachtung des Großmutterseins in unserer derzeitigen Sozialkultur überzogen oder nicht zutreffend. Aber ich gehe, wie wir ihr vielleicht schon wisst, von den Basisverhältnissen der Natürlichen Mütterlichen Ordnung aus und aus dieser Perspektive müsste die Instanz der Großmutter in unserer Gesellschaft einen ganz anderen Raum einnehmen.
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04 Januar 2013

...eine alte Geschichte


Die Alte - für viele eine mysteriöse Figur in unserer Zeit - nicht mehr wirklich in und dann auch noch eher fragwürdig als ehrwürdig... 


Wenn die Alte gelassen durch die Zeiten schreitet, berührt der Saum ihres Kleides Geschichte, die sie jedoch höchst selten schrieb. Liegt es daran, dass Geschichte schon lange nicht mehr erzählt, sondern aufgeschrieben wird und „Geschichte schreiben“ eine Metapher für das männliche „Geschichte machen“ ist? Die geschriebene Geschichte ist die Geschichte des Mannes. Wir wissen von den alten Hochkulturen mit ihren ersten mächtigen Bauwerken, erfahren von den, in glänzenden Rüstungen marschierenden Heeren, bestaunen den Prunk der Fürsten in ihren Palästen und Kathedralen - uns ist als wären wir dabei gewesen. Die Macht der modernen Bilder zeigt uns selbst Welten, die so wahrscheinlich gar nicht existierten. 

Das ganz triviale, das alltägliche Leben der Menschen besonders das der Frauen, ihr Fühlen, Handeln und Denken, war und ist für all die Geschichtsschreiber oft nur mäßig spannend. Glorreiche Feldzüge und raffinierte Politik hinter dicken Mauern, Heldentaten und große Erfindungen - das ist würdig festgehalten zu werden. Das lange friedvolle Leben in den quasi „vaterlosen“ Gesellschaften ist der Erwähnung kaum wert. 

Als der einst ebenbürtige Bruder der Frauen zum Vater und Herrscher aufstieg, ist er auch zum blutigen Gestalter der Geschichte geworden. So erfahren wir von der Existenz manch einer bis dahin als unbedeutend angesehenen Gemeinschaft erst, wenn sie nach Kämpfen und Schlachten von ihren Gegnern ausradiert wurde. In der Geschichte, die von den Siegern geschrieben wird begegnen wir der Alten nicht! 

Wer ist sie die Alte? Was tat sie? 
Saß sie mit ihren Töchtern und Kindeskindern am Feuer, während die Scharmützel durch die Jahrhunderte tobten? Wie ertrug sie es, die sich wiederholenden Verwüstungen mit anzusehen? Wie oft überlebte sie, um ihr bewahrtes Wissen in die Zukunft zu tragen und wie oft hat ein Schwert die Alte durchbohrt und damit immer wieder der Natürlichen Ordnung der Mütter einen Todesstoß versetzt? Und als gar der Vernichtungskrieg direkt gegen die Alte (und hier ist sie auch als grundsätzliches Synonym für die Frau gemeint) geführt wurde und die Scheiterhaufen brannten, hat sich wohl die Vorstellung von der gehrte Ahnin und vieles von uraltem Weiberwissen ebenso in Rauch aufgelöst. 

Das geschriebene Wort etablierte sich endgültig als Garant für Wissensweitergabe. Und die unnütze Alte mutierte in der modernen Zeit ein für alle Mal von der einst achtbaren Mutter über die Konkurrentin des Vaters hin zur Lachnummer der neuen Wissenswelt. Ab jetzt wurde ihre Spur in der Geschichte mit üblen Taten, Hexerei, Antiquiertheit und unnützem Gewäsch in Verbindung gebracht – die Frau und ihre Kindern sollen/wollen nichts mit dem Aberglaube der alten Mütter zu tun haben. Die Weise Alte, die kenntnisreiche und lebenskluge Mutter, gab/gibt es in unserem Kulturkreis nicht mehr!

Alles was wir heute nachlesen können, braucht uns kein altes Weib mehr zu sagen - so wurde die Alte unbemerkt aus der Geschichte verdrängt. Ihre Söhne verwalten jetzt das gesammelte Wissen - effizient und umfassend. Die wissende und die handelnde Alte verschwand nach und nach aus unser aller Alltag – zwar gab es (und gibt es mehr denn je) die älter werdende Frau - die stolze, die geachtete und geehrte Alte ist selten darunter. Was also wurde und wird mit den alt gewordenen Frauen oder den ausrangierten Großmüttern, die nicht gestorben sind und einfach weiterlebten? Wozu zum Geier gab es sie überhaupt, wenn doch das alte Weib in der Geschichte angeblich keine Spur hinterließ?

Doch das stimmt so nicht, wie wir inzwischen wissen - als Große Mutter - als Ahnin - ist die Alte sehr wohl bekannt und somit eine Institution. Nicht als einzelne Person und mit Namen überliefert, begegnen wir der Alten in der Geschichte – sondern inzwischen auch als Allegorie, als das ewige Weibliche, als das Leben selbst.

Als ihre Töchter einst die Menschengeschichte durch ihr gemeinschaftliches Sein prägten und Spuren in Stein hinterließen wurde im heutigen Sinne noch nicht „geschrieben“. Es wurde gesagt, erzählt, gekündet; gesehen und gehört; vorgelebt, Beispiel gegeben; vererbt und angenommen - überliefert - unsere kollektiven Erinnerungen waren die authentische Geschichte.

Kommunikation ist weiblich und damit ist nicht nur der verbale Ausdruck gemeint - Mütter und Töchter und Schwestern erschufen Sprache und Verständigung. Zugewandtes Reden und Hören findet mit dem ganzen Körper statt. Wir leben in einem Energiefeld des Verständinisses und der Zugewandtheit, wenn wir die weibliche Art der urtümlichen Sprache der Gemeinschaft anwenden. 


Die Geschichten, die sich die Menschen, die kommunikationsfreudigen Frauen, erzählten, sind unsere Geschichte. Wir lauschten einst den Mären und Sagen, den Späßen und Liedern und lernten dabei uns selbst zu entfalten und uns in die Gemeinschaft einzubinden. Der Kern all der Märchen ist vor allem die Betrachtung und Beachtung von sozialen Wechselbeziehung, von vorausschauenden, lebenskluge und mutige Verhaltensweisen.

Die Alte erzählte nicht nur oder schreibt heutzutage, sie ist die Geschichte...
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02 Januar 2013

Sieht das neue Jahr schon alt aus?

Heuer steht für mich dieses beginnende, frische, junge Jahr im Zeichen der Alten

Nicht weil ich jetzt Rente bekomme oder zum elften Mal Großmutter geworden bin, sondern weil ich vor allem sehe, mit welcher Vehemenz die Frau der heutigen Tage immer noch bemüht ist das sichtbare und gefühlte Älterwerden aus ihrem natürlichen Reifeprozess und ihrem Bewusstsein zu verdrängen. In bestimmten Kreisen wird zwar ganz locker mit den Synonymen des offensichtlichen weiblichen Lebenszyklus umgegangen - da sind wir noch immer die Junge, die Mutter, die Alte - aber bitte nur theoretisch.
 

Zur Zeit scheint es nur zwei Kontinente zu geben: „Jung“ und „Alt“ – der dritte, auf dem bisher das eigentlich Leben stattfand, ist dahingeschmolzen. Für dieses Dazwischen gibt es irgendwie keine treffende Nomenklatur mehr in unserem modernen Sprachgebrauch. Der Kontinent der Jugend ist quasi überfüllt, denn „alt“ möchte niemand werden und so manch Alte, einmal in die Wartezone auf den Tod übergesetzt, erlebte die Realität der Altersausgrenzung und eine gefühlte Verbannung. 
 
Forever young – Jungsein, hier und heute, ist toll! Und es bietet alle Möglichkeiten, besonders wenn diese Lebenshaltung bis ins hohe Alter ausgedehnt werden kann. Die Mutterphase wird, wenn überhaupt, als kurzzeitige Etappe angesehen und das richtig Altsein liegt noch mit fünfundsechzig in utopischer Ferne. Nach einem arbeitsreichen Dasein und der Aufzucht des Nachwuchses möchte schließlich auch die Frau noch was von ihrem Leben haben. Dieses „endlich Leben wollen“ ist der jahrelang vertagte Wunsch aus der Fremdbestimmung unserer Alltagskultur ausbrechen zu können - kein Chef, kein Kind, womöglich auch kein Mann mehr, niemand der uns in Atem halten und zwingen kann unsere eigen Bedürfnisse und Neigungen hintanzustellen. Irgendwann musste doch mal dieses selbstbestimmte Leben kommen und so verlegen wir es in die Jahre, die uns als AltersLebensFreizeit in Aussicht gestellt wurden. Und damit sind wir, besonders als Frauen, inzwischen gut dran – ein paar Generationen vor uns wurde diese Art der Freiheit gleich ins Jenseits verschoben. 


Sich mit dem eigenen Alter auseinander zu setzen ist nicht sehr populär und alt sind höchstens die anderen. Es ist peinlich „alt“ auszusehen und „alt“ ist eben immer noch das Synonym für überholt, unbrauchbar, unnütz. Wenn sich also gewisse Anzeichen des Alters abzuzeichnen beginnen, bemühen wir uns in Aussehen und Haltung Jungsein zu demonstrieren. Das innere Kind wird beschworen und in unserem Herzen geht die Sonne ständig auf und niemals unter. Nur in eingeweihten Kreisen bezeichnet sich die eine oder andere Frau als ( Weise) Alte, aber rein rhetorisch versteht sich. 

Egal wie sie es anstellen, gelobt werden in der Öffentlichkeit nur die Frauen, denen man ihr wahres Alter nicht ansieht. Und diejenigen, die genau wie ein Mann, taff ihren Beruf solange sie können ausüben und die auf gar keinen Fall von ihrer Familie erwartet, dass man sich im Alter um sie kümmert. Denn hilfsbedürftig zu sein, ist nicht sehr anerkannt. Außerdem ist auch nicht gesagt, dass da nahe Angehörige vorhanden sind, denen es ein Selbstverständnis ist beispielsweise eine alte Mutter zu betreuen.

Alte sind aber auch oft anstrengend. „Ich werde mal keine von den übellaunigen, verknöcherten Alten“, sagte mal ein junges Ding zu mir – sehr löblich, denn auch ich habe, besonders in meiner Jugend genügend ungeliebte Alte kennengelernt, die frustriert ihre Umwelt tyrannisierten. 


Nun ist es ja eigentlich nicht verkehrt sich bis ins hohe Alter gut und jung zu fühlen – es ist ein tolles Gefühl eine andauernde Vitalität zu spüren – aber diese derzeit präferierte Art der Lebenseinstellung ist eigentlich eine junge maskuline Grundstimmung oder so was wie eine amazonische Dauerschleife. Denn die kraftvolle, selbst-, verantwortungs- und zukunftsbewusste Frau ist im Gesellschaftskonzept auch nicht wirklich erwünscht. 

Der Altersbegriff unterliegt in unserer Zeit einer unglaublichen Wandlung. So finde ich es zum Beispiel äußerst spannend, wenn eine Frau, die in etwa so alt ist wie ich, schreibt: „...ich fange auch schon an für mein eigenes alter überlegungen anzustellen...“ *

Also merke! ...mit fünfundsechzig muss eine frau auf gar keine Fall schon alt sein und spätestens mit dem Titel von Udo Jürgens, der allen versicherte, dass das Leben erst mit 66 anfängt, haben wir die Gewissheit, dass es so etwas wie „das Alter“ eigentlich gar nicht gibt. 

Körperliche Gebrechlichkeit und Langsamkeit wird möglichst nicht thematisiert und wenn dann nur in dem Zusammenhang wie sie heute zu vermeiden sei. Fit im Kopf zu sein ist sowieso ein Muss. Für moderne Frauen ist es jedenfalls ein Fiasko eine „alte Frau“ zu sein. Dabei ist unsere Welt derzeit voll von alten Frauen, wenn wir mal die bisherige Definition für „alt“ ansetzen. Noch in meiner Jugend galt die Frau in oder kurz nach den Wechseljahren eigentlich als alt - sie war nicht mehr fruchtbar, nicht mehr (sexuell) attraktiv, nicht mehr von Bedeutung und wurde so animiert für immer jung zu bleiben, denn das Alter, besonders das weibliche, hat in unserer Welt keinen Ort. 

Heute kann eine Frau bis ins hohe Alter hinein jung bleiben, was auch immer sie darunter versteht – sie kann für ihr gefälliges Äußeres etwas tun, sie hat zumindest Zeit und Gelegenheit alles noch lernen was sie schon immer interessiert hat. Sie kann das Altern umgehen, hinauszögern und totschweigen... meine erheblich ältere Schwester ist so ein Prototyp der jugendlichen Alte - so jung wie sie mit ü-achtzig ist, bin ich mit fünfundsechzig nicht mehr. Aber wir unterscheiden uns auch in zwei wesentlichen Punkten ... ich bin Mutter und Großmutter und das Alter erschreckt mich nicht im mindesten. 

Trotzdem frage ich mich immer wieder, besonders wenn ich mich in der Medienlandschaft umschaue: Wo ist es hin das geachtete, das liebevoll in den Arm genommene, Alter? 

Und wie geht es mit mir weiter, wenn ich diese Alterskultur, die ein einziges Tabu ist, nicht erstrebenswert finde? Wenn ich, je älter ich werde, mich weiter nach der Nähe der Menschen, die natürlicherweise zu mir gehören, sehne, ohne dass ich es zeitgemäß als unpassend ansehen will? Und was wird es für mich bedeuten, wenn ich zwischen all den ewig Jungen dem Altershorror weiter keine Beachtung schenke und einfach nur still vergnügt alt werde? 

Weil es das Natürlichste von der Welt ist, weil es einfach viel zu schade ist, diese wunderbare Zeit ungenutzt verstreichen zu lassen. Es ist ein enormer lebendiger Qualitätsunterschied, das Älterwerden Tag für Tag auszukosten oder es verbissen zu bekämpfen. 

Die Alte lebt solange sie lebt und in der Mütterlichen Ordnung noch darüber hinaus...  


*... dazu auch der wunderbare Text von Luisa Francia vom 29.12.12

21 Dezember 2012

Happy


Die überaus glückliche Großmutter teilt mit:

Heute am 21.12.2012 um 11.11 Uhr erblickte 
mein elftes Kindeskind das Licht dieser Welt! 

... und natürlich ist es ein Mädchen... 
sie ist die dritte Tochter meiner Zweitgeborenen




25 November 2012

Das Umschalten zwischen den Welten...

Neulich habe ich mich mal wieder in eine Großstadt verirrt und das Leben der modernen jungen Leute studiert. Einiges hat sich doch geändert, seit ich dereinst selbst noch im Hamsterrad des Alltags kreiste - manches ist leichter geworden, anderes hat sich verschärft... habe dazu ein bisschen reflektiert:

Das Umschalten zwischen den Welten und der kaum registrierte Stress, den diese Lebensweise verursacht!

Wir setzen uns täglich als erwachsenes Individuum, allein und bewusst, einer Kette von Ereignissen aus, die bei uns trotz aller Gewohnheit eine Art Dauer- Stress auslöst. Der gesamte klassische Tagesablauf, den wir als durchschnittlicher Arbeitnehmer, Familienbetreiber und Freizeitnutzer durchlaufen ist ein recht unnatürlicher Vorgang geworden, wenn wir die menschlichen naturgemäßen Abläufe unserer (ausschließlich zu Fuß gehenden) Vorfahren als die normalen Voraussetzung ansehen.

Viele von uns leben Tag täglich auf einem Stresslevel ohne ihn groß zu registrieren, der uns jedoch bestimmt schadet . Diese Form des Stress ist eine Art Dauerschleife. Logischerweise waren unsere Urmütter und ihre Kinder auch einem naturgemäßen Stress ausgesetzt, aber erstens nie allein, sondern in der Regel in der angehörigen Sippe und zweitens in einem anderem Tempo, dass das Bindungspotential ausschöpfte. Unsere Vormutter der Steinzeit lebte nicht als ständig separierte Person unter hunderten anderen unbekannten Personen - also allein, sondern als ein integrierter Teil einer generationsübergreifenden Bindungsgemeinschaft.

Und heute begeben wir uns nur noch vereinzelt jeden Tag in die freie Wildbahn der Moderne, auch jede Mutter und ihr Kind. Wir kennen es nicht mehr in einem Pulk mit vertrauten Personen loszuziehen, wo eine auf die andere aufpasst. Höchstens kommt das noch bei manchen Freizeitaktivitäten vor und dann auch eher in der Jugendzeit.

Der einzige Vorteil dabei ist, dass sich für uns im Alltag viele äußere Parameter wiederholen und wir dabei zwischendurch die Erholung der Routine zu spüren bekommen. Sitzen wir im Auto und fahren zur Arbeit, sind wir als Individuum zwar in dieser Blechkugel unmittelbar geschützt, müssen jedoch auf die sich schnell und ständig neu gestaltende Verkehrslage außerhalb unseres Fahrzeugs reagieren – die Situation auf der Straße und besonders im Berufsverkehr sind wie ein Videospiel – ständig kann etwas Unvorhergesehenes eintreten. Dauerkonzentration ist daher angesagt, auch nach einem langen Arbeitstag.

Sind wir mit Bus und Bahn unterwegs, brauchen wir uns keine Gedanken um das Verkehrsgeschehen machen, dafür ist unser Körper unmittelbar vielen verschiedenen Fremdkontakten ausgesetzt. Dabei denke ich, dass es hier auch einen, oft deutlich sichtbaren, Unterschied zwischen gewollten und unbewussten Reaktionen von betroffenen Männern oder Frauen gibt. Und hier können wir davon ausgehen, dass die Frau in der Regel, auch wenn ihr das kaum bewusst ist, immer viel mehr auf der Hut ist.

Trotzdem geht praktisch jeder scheinbar ganz selbstverständlich mit der Ausgangslage des normalen Alltags um, schließlich wurden wir von Kind an darauf trainiert. Dieses (Distanz)Training zielte sozusagen darauf ab, unsere natürlichen Instinkte zu entschärfen und vor allem auf zwei Aspekte zu richten – einmal dass wir uns als Alleingänger angstfrei zwischen Unbekannten bewegen und zum anderen die Masse, der uns ständig umgebenden Fremden, weitgehend zu ignorieren. Wenn sich alle in dem gleichen trägen oder rasanten Fluss bewegen, sind die anderen Menschen wie Gegenstände, die an uns vorbei treiben. Wahrscheinlich würde es uns verrückt machen, wenn wir all die Massen um uns als einzelne Personen wahrnehmen und auch noch auf sie reagieren müssten bzw. würden. Besonders dann, wenn wir nur kurz ein Bad in der Menge nehmen.

Da wir hier und heute davon ausgehen können, uns im gesellschaftlichen, also öffentlichen Raum relativ gefahrenfrei zu bewegen, ist es möglich unsere Sinne zwischen latentem Alarmzustand und entspannten Rückzug hinter unserer Aura, also in uns selbst, einzupendeln. Wir nutzen Fahr- und Wartezeiten, besonders mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, zur persönlichen Beschäftigung - schlafen, lesen, tagträumen, mit dem Kind ein Bilderbuch ansehen - und eher selten passiert etwas Aufregendes. Trotzdem sind wir nicht wirklich unaufmerksam oder gar tiefenentspannt. Unbewusst läuft permanent das Wahrnehmungsprogramm der Urzeit mit. Noch mehr verschärft sich die Lage, auch wenn es nach außen nicht sichtbar ist, wenn wir ein Kind dabei haben. Unsere Aufmerksamkeit ist nun mehrfach gebunden. Jetzt gilt es zwei Personen unbeschadet an den Bestimmungsort zu bringen. Und das bedeutet sofort, das wir eine ganz andere Haltung einnehmen und mehr Wachsamkeit an den Tag legen, wenn wir für ein oder mehrere Schutzbefohlene die Verantwortung tragen. Wohlgemerkt, als nicht unterstützte Einzelperson.

Wir sind zwar angehalten, haben es gelernt, uns an die moderne Alltagssituation zu gewöhnen, aber als moderne Mensch werden wir durch die vielen Einflüsse, und es kommen ständig welche hinzu, permanent in Atem gehalten. Wenn sich also die Mensch in ihrem eng getakteten Alltag ständig gestresst fühlt, ist das wahrhaft kein Wunder und keine gesunde Voraussetzung, weder für Mutter und Kind, noch für Jederfrau.
Die Mensch als solches ist ein Anpassungsgenie und logischerweise setzt sich dieses Verhalten auch in unserer Moderne fort. Die moderne Mensch passt sich an Situationen an, auch wenn sie ihr nicht gut tuen. Wenn wir unsere Lage (scheinbar) nicht ändern können, versuchen wir auch gern mal die damit permanent einhergehenden unerfreulichen Gefühle zu ignorieren. Was nicht jeder bzw. immer gelingt. Wir sind so in unser Hamsterrad eingepasst, so dass wir oft erst munter werden, wenn die Gesundheit massiv auf dem Spiel steht. Dabei sollten wir, gerade wenn Kinder zu unserem Lebensraum gehören, das eigene Wohlbefinden nicht aus den Augen verlieren.

Da wir weiterhin in der Regel mehrfach am Tag zwischen den Welten und ihren Forderungen an uns, hin und her wechseln, werden wir uns auch eher auf die gerade anstehenden bzw. aufploppenden nächsten (mulmigen) Gefühle konzentrieren. Unser Tagesgeschehen ist, auch wenn es uns so vorkommt, selten ein organischer Ablauf in einer geborgenen Atmosphäre, sonder ein Jumpen zwischen den unterschiedlichen Anforderungen verschiedener Subroutinen. Es ist zudem üblich, dass sich die Erwachsenen (und ebenso die Kinder), auch wenn sie die gleiche Häuslichkeit miteinander teilen, trotzdem in verschiedenen Subwelten der Gesellschaft aufhalten. Als Teilnehmerinnen ihrer häuslichen Minigemeinschaften sind sie zudem damit beschäftigt, nicht nur ihre eigenen Gefühlslagen auf die Reihe zu bekommen, sondern die ihrer Mitbewohner gleich mit.

Das weibliche Individuum der Spezies Mensch ist ein natürliches Bindungswesen und endet im culture clash der Patriarchose als Beziehungsgeberin für Beziehungsnehmer. Wir treten im Laufe unseres Lebens mit hunderten Menschen in verschiedentliche Beziehungen. Im Bindungsangehörigen-Kontext sind es immer nur einige, die in patriarchaler Tradition, so früh wie möglich aussortiert werden. Es ist die allseits bekannte Beziehungsarbeit, die Frauen und Mütter gewohnt sind zu leisten ... wir sind auf 'fremd', 'nicht bekannt' und 'nicht verwandt' trainiert. Das Individuum lernt mit der Verunsicherung, die damit einhergeht, zu leben. Unser soziales Arrangement in unserer Kultur funktioniert auch leidlich, wenn die Gesellschaft ein Niveau bereitstellt, in dem ein jedes Mitglied (auch die Frau und Mutter) einigermaßen aufgefangen wird.

Eine der größten Herausforderungen ist und bleibt, besonders für das Kind, das Umschalten zwischen den so gänzlich verschiedenen Subwelten unserer Gesellschaft. Das kleine Bindungswesen 'Mensch' bringt für die Anforderung, sich relativ früh und in der Regel allein, in wechselnden Zivilisationsenklaven in Bindungslosigkeit wieder zu finden, eine Anpassungsleistung mit, die letztlich auch nur eine Überlebenstechnik darstellt. Irgendwann greift auch die Routine und das Kind gewöhnt sich an die verschieden Wechsel. Ob das allerdings für ein Kind gut ist, wird nicht hinterfragt.

Allein sein und klarkommen in einer anonymen Gesellschaft, ist das Ziel und die Norm der patriarchösen Kultur - ein wahrhaft absurdes Konzept. Das anpassungsfähige Kind der Spezies Mensch kriegt das zwar hin, aber was diese Situationen als permanente Dauerschleife mit dem Individuum macht, permanent aus der Pseudo-Sippe 'Familie' verstoßen und wieder zugelassen zu werden, ist ein Phänomen, das noch viel zu wenig Beachtung findet. Dieser Mangel an gelebter Bindung und Geborgenheit und statt dessen das gesellschaftliche Beziehungskarussell zu bedienen, gehört für das moderne Kind zur Normalität und wir alle sind auch bereits damit groß geworden.

Aber ... es ist nicht unsere Natur  ...
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26 Oktober 2012

Herbstmutter

Der Film  „Herbstkind“, der von der ARD am Mittwoch ausgestrahlt wurde, ist hervorragend umgesetzt und er ist auch aus meinem Verständnis heraus, mehr als nur die Darstellung einer postpartalen Störung.

Die dramatische Handlung des verhalten gezeigte Alltag eines beginnenden Kinderlebens, wird wohl für manchen Zuschauer alles andere als auffällig sein - da gibt es ein schmuckes Eigenheim auf dem Land, das suggeriert wie das Kind später draußen schön spielen wird in der unmittelbaren Nähe der heilen Welt von Bauernhof und Dorfidylle. Außerdem die perfekte Ausstattung des Kinderzimmers, das heutige Eltern auf Grund der Gewissheit 'was es wird', schon vorher farblich abstimmen können. Ein idealer Vater ist auch da, der sich nicht nur wie verrückt auf sein Kind freut, sondern auch erst einmal unspektakulär selbstverständlich die Überforderung der jungen Mutter auffängt. Allerdings braucht er ziemlich lange zu verstehen, dass deren zombieartiger Zustand, weder Erschöpfung nach der Geburt, noch verdrängte Panik vor der Verantwortung ist.

Die Nachbarin spricht die in sich gekehrte Frau auf die Heultage an und findet, das reichlich Arbeit dagegen hilft. Spätestens an der Stelle habe ich mich gefragt, ob ich die einzige bin, der die trostlose Einsamkeit auffällt, in die Mütter mit ihren Neugeborenen im Arm nach der Entbindung heimkehren?

Der klägliche Versuch, den eigenen Vater und Großvater ihres Kindes zum Bleiben zu überreden, ist fast schon eine Schlüsselszene der eigentlichen, aber sicher nicht beabsichtigten, Hintergrundaussage des Filmes.

Mütter und ihr Kind erhalten keine persönliche Unterstützung. Es ist keine (weibliche) Sippe da, die der jungen Mutter das Gefühl geben kann: Alles ist gut, ihr seid beide zwischen uns geborgen.

Die aufgeschlossenen und gut beschäftigten Großeltern, welche in dem Film ohne Frage sehr positiv dargestellt werden, agieren trotzdem auf typische Weise in dem üblichen Modus der bemühten Nichteinmischung und möchten nicht als Störfaktor des neuen Elternglückes auftreten. Das hilflose Nichtaussprechen, das so typisch für dererlei Konfliktfilme ist, hat mich fast verrückt gemacht.

Gut, es wurde ein Krankheitsbild dargestellt, noch dazu eines, was nicht täglich vorkommt und mit dem die Beteiligten nicht umgehen konnten. Aber die einzige Fachfrau, die Betroffene selbst, hat auch in keinem ihrer lichten Momente festgestellt, dass im Interesse von Mutter und Kind Hilfe angezeigt wäre. Und ich meine damit nicht das Einschreiten eines Arztes. 


Es ist so selbstverständlich in unserer Gesellschaft, dass eine Mutter, die ein Kind zur Welt bringt, als autonome Frau weiter ihren Alltag abspult, fern ab von jeder Art aktiver (persönlicher) Zuwendung. Der mehr oder weniger kompetente Mann an ihrer Seite hat alles abzufangen, was an gravierenden Veränderungen mit der Geburt eines Kindes (für beide) einhergeht und ansonsten bleibt man unter sich und genießt das Glück endlich eine „eigene kleine Familie“ zu sein.

Frauen sind zähe Wesen, können normaler weise eine Menge ab und immer wieder haben viele ihre Kinder allein aufgezogen. Aber „allein“ heißt in unserem Kulturjargon: ohne Mann.

Dass zu einer Frau und Mutter vor allem auch andere (verwandte) Frauen und Mütter gehören, ist offensichtlich derzeit nicht nur nicht mehr vorstellbar, sondern leider auch höchst selten umzusetzen. Unsere Kinder werden in eine ungeborgene Welt hineingeboren, in der es sich alle tauglich eingerichtet haben - es darf nur nicht dazwischen, sonst kann ein Neugeborenes schon mal im Wäschekorb zwischen der Schmutzwäsche landen.





Fall eine von euch Bedarf hat, noch ist der Film in der Mediatik des ARD zu sehen!

Dazu vielleicht auch ein Artikel in der Frankfurter Rundschau

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13 Oktober 2012

Von der Welt enttäuscht

Von der Welt enttäuscht oder Das Wunder der Kommunikation

Nun könnte man nach dieser Überschrift meinen, ich sei von der Welt, den Mitmenschen oder meinem Schicksal enttäuscht – weit gefehlt – ich lebe recht zufrieden in der besten der möglichen Welten und das meine ich erst einmal in einem kosmischen Sinne. Die Welt kann uns eigentlich nicht enttäuschen, denn alles hängt an unseren Erwartungen.

Unsere Welt, also die Erdkugel mit ihren natürlichen Bedingungen, gibt es ja schon seit ein paar Jährchen und alles befindet sich ständig in einer halbwegs stabilen, aber auch sensiblen Balance, wenn wir es mal von der Warte der Lebewesen aus betrachten. Als solche haben wir unheimliches Glück, dass die Erde den für uns richtigen Abstand zur Sonne einnimmt und sich so die für uns Lebensbedingungen über einen Zeitraum von ein paar Millionen Jahre erhalten haben. Auch dass die Erde einen Trabanten hat, unseren Mond, der zur Stabilität beiträgt indem er die Rotation unseres Globus abbremst. Oder dass unser kleiner blauer Planet weit genug vom Zentrum der Galaxie entfernt liegt, so dass hier relativ wenige Kometenwanderer (arme Dinos) vorbei kommen oder gar einschlagen. Allerdings ist und bleibt nach wie vor für alle das Leben lebensgefährlich. Viele der natürlichen und inzwischen auch der gesellschaftlichen Bedingungen unter denen wir leben, sind von uns nicht ohne weiteres zu ändern. Daher können wir also immer wieder sagen: Alles ist gut – nur nicht immer, nur nicht überall und leider auch nicht für jeden!

Als einzelner Mensch habe ich eine bestimmte Sicht auf die vorhandenen Bedingungen unter denen ich und wir alle existieren. Dazu nehme ich eine bestimmte Haltung ein. Diese besteht bei mir aus der Anerkennung der für mich unveränderbaren und variablen Bedingungen und dem Drang das Beste daraus zu machen – ein natürliches in uns angelegtes Überlebensprogramm. Aber da gibt es noch fataler Weise bestimmte, in frühster Kindheit angelegte Konditionierungen und immer noch funktionierende Glaubenssätze, welche der schlichten Auffassung von „ich schaff das schon“ oft genug im Wege stehen.

Nun habe ich das Glück als Frau geboren worden zu sein - in einer Zeit und einer Gegend der Erde, die mir ein relativ großes Maß an persönlicher Freiheit gestattet. Gleichzeitig jedoch habe ich und fast alle anderen, das Pech, dass unsere derzeitige Weltkultur mit einem prinzipiell menschenfeindlichen System durchsetzt ist das wir Patriarchat nennen. Unterdrückung, Fremdbestimmung und Unfreiheit sowie latente oder offene Gewalt als Dauerzustand sind die Muster dieses Gesellschaftssystems. Derzeit haben wir auch hier mehr oder weniger alle das Glück, dass unser Alltag relativ friedlich verläuft. Nur wenige nehmen die inszenierte und alles beherrschende Intention wahr, welche das angestrebte freie und natürliche Menschenleben der meisten gegen den raffiniert etablierten Machterhalt der patriarchalen Nutznießer ausspielt. Das Gefüge der Macht baut weder auf der Freiheit noch auf dem Wohl der Masse auf, sondern auf deren Verfügbarkeit und die wird rechtzeitig installiert. Sozusagen die Vervollkommnung von Zuckerbrot und Peitsche.

Der Mensch als Spezies ist schon recht lange unterwegs und ebenso steht uns als Individuum grundsätzlich eine ganz ordentliche Lebensspanne zur Verfügung. Im Schnitt sind es mehrere Jahrzehnte in denen wir persönliche und kollektiv geprägte Erfahrungen machen und Gedächtnisprotokolle in unserer Hirnrinde oder wo auch immer abspeichern  – vor allem zum Wohle unseres Nachwuchses. Die Weitergabe der eigenen Existenz ist die Sinn-Strategie der Lebewesen. 

Die (durchschnittlich) hohe Lebensspanne des Menschen ermöglichte uns vor Ort Naturereignisse über einen längeren Zeitraum zu beobachten und die Erkenntnisse für uns als Spezies, aber auch als Individuum, für unser Überleben zu nutzen. Und da sind wir – als Spezies mächtiger denn je. Alles hat bisher deshalb so gut funktioniert, weil wir in Angehörigengruppen und damit generationsübergreifend die soziale Balance geschaffen haben, die für die uns nachfolgenden Menschenkindern immer wieder das Leben ermöglichten. Zwar wird das soziale Miteinander auch immer der Situation angepasst - zum Beispiel dem Klima und seinen Folgen oder es ist von der Zusammensetzung unserer Lebensgemeinschaften abhängig. Die eine Seite ist also die Gesamtsituation, die uns bestimmte Vorgaben macht und die andere der individuelle Freiraum mit dem wir unser Dasein gestalten können. Und das kann durch viele Faktoren eingeschränkt sein. Durch Behinderungen aller Art – wie permanente Fremdbestimmung durch Menschen, die die Macht haben uns zu hindern unser Potential zu entfalten (oder eine Burka zu tragen) oder wir leiden an einer chronische Krankheit, die uns einschränkt.

Was von uns als Individuum dereinst übrigbleibt ist das Vermächtnis, das wir unseren (persönlichen) Nachkommen hinterlassen - in der direkten Erbgutanlage oder in Form weitergesagter Erkenntnissen. Zwar sind die Zeiten vorbei, da Menschen ausschließlich mündlich überlieferten, aber der Drang lebenslang das eigene Erkennen und Wissen mit anderen und am liebsten mit den Nahestehenden und dem Nachwuchs zu teilen, ist nun mal eine der Strategien, die den Erhalt der Spezies garantiert. 

Nur wer kann sich schon heutzutage in unserer sehr speziellen und strukturierten Welt ständig in mitten einer geneigten Zuhörerschaft nach Herzenslust verbreiten? Die Vereinzelung des Menschen greift wie eine Pandemie um sich. Wir werden am Weitersagen gehindert – aber - es lebe das Internet und die digitale Möglichkeit der Verständigung, die in den sozialen Netzwerken stattfinden. Der Ausweg ist die mittelbare und somit verzögerte Verständigung über das Schreibens. Im analogen Leben sieht es für das persönliche Gespräch, welches all die essentiellen Gefühlsinformationen transportiert, zunehmend schlecht aus. Während der Arbeit und in der Schule kommt Schwatzen gar nicht gut. Für ein ausgiebiges, freundliches und zugewandtes Gespräch, so von Kindergartenkind zur Erzieherin, ist selten Gelegenheit und die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit des Erwachsenen ist groß. Die häuslichen vier Wände sind in der Regel auch nicht gerade angefüllt mit interessierten Menschen, die nur darauf warten mit einem Kind in Muße zu kommunizieren. Gesellige Runden, noch dazu ungezwungene, sind in manchem Alltag so selten geworden, dass sie sofort Eventcharakter annehmen. Da werden zu bestimmten Gelegenheiten Treffen aufwendig organisiert – auch für Kinder - unter dem Zwang ein unvergessliches Erlebnis zu schaffen (der Aufwand muss doch lohnen). Es herrscht also grundsätzlich sowie in vielen persönlichen Lebensläufen inzwischen ein Mangel an unspektakulärer, zugewandter und wohlmeinender Interaktion.

Doch genug der Einführung in die alltäglichen sozialen Verwobenheiten und Notwendigkeiten und schauen wir nachsichtig auf unsere eigne Bereitschaft mit der Welt zu kommunizieren. Diese Nachsicht sollten wir immer üben. Denn wenn Verständigung mit unserem Umfeld nicht gelingt, liegt es nicht immer an uns selbst. Bereits seit Generationen werden wir und hier im besonderen die Frau, in unserer Kultur zur Sprachlosigkeit angehalten sowie dem Unterdrücken des, mit interaktiver Kommunikation einhergehenden, körperlichen Ausdrucks. Sich möglichst nicht exponiert benehmen, nicht zu laut lachen, nicht durch auffälliges Verhalten die Blicke auf sich ziehen, gehört zu den Regeln des guten Benehmens.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – das bedeutet auch schon für das Kind, dass es früh angehalten wird, anderen und hier dem sprechenden (meist männlichen) Erwachsenen nicht einfach ins Wort fallen. Allerorts muss die eigene, natürliche Begeisterung gedämpft werden. Wir sind aufgefordert uns zurück zu halten und in das Marionettentheater, das uns umgibt, einzureihen. Mit naiven Schwung und kindlichem Enthusiasmus könnten wir die Fäden verwirren, an denen die meisten Erwachsenen hängen und von denen niemand so recht weiß, wer gerade daran zieht. Daher lernt schon das Kind Zurückhaltung und höchstens die passende Rhetorik um im passenden Moment das Passende zu sagen. Ob es auch das Richtige ist, steht kaum zur Debatte.

Und so geschieht es immer wieder, dass wir mit uns selbst genauso ungesellig umgehen und in uns selbst ebenso unsicher kommunizieren, wie es uns unsere Erzieher vorgelebt haben. Mit uns selbst in einem ständigen, wohlmeinenden Kontakt zu stehen haben wir teilweise schon in unserer Kindheit verlernt. Von der Eigen-Wahrnehmung immer wieder abgelenkt, leben die meisten von uns auch noch abgetrennt von ihrer Herkunft. Das Wesentliche des Menschseins – sich dauerhaft in einer zugehörigen und zugewandten Gemeinschaft aufzuhalten – ging in unserer Kultur der Unverbindlichkeit verloren...

Fortsetzung folgt...