05 Juli 2019

Das Menschenkind


Einleitung und Kapitel I

Wie war das doch gleich, als ich noch ein Kind war? So vor rund siebzig Jahren? Zwar bin ich ein Geschwisterkind, war aber ein Hinterdreinchen. Meine zahlreichen Brüder und meine eine Schwester sind erheblich älter als ich. Und so wuchs ich fast wie ein Einzelkind auf. Aber es gab in unserem dörflichen Umfeld reichlich andere Kinder. Sie begegneten mir auf Schritt und Tritt. Wir spielten auf der Straße, ich traf sie in der Schule und beim Stromern. Trotz der im Alltag nicht mehr anwesenden Geschwistern, war ich nie allein.

Spätestens ab drei Jahre gab es täglich mindestens eine alterspassende Freundin. Wir besuchten uns gegenseitig, spielten mal bei ihr und mal bei mir. Später wurden es mehr und die Auswahl größer. Meine Tag war bei weitem nicht so reglementiert, wie ich es später bei meinen eigenen Kindern erlebte oder wie es heute bei meinen Enkeln stattfindet. Auch als ich noch richtig klein war, nahm mich meine Mutter überall hin mit und ich nahm auf ihrem Arm oder in meinem rumpligen Kinderwagen am Dorfalltag teil. Und wohin wir auch gingen, überall gab es ein Kind mit dem ich spielen konnte.

Meist waren wir ein Tross von fünf, sechs Kindern, überwiegend Mädchen und nicht immer gleichaltrig. Die Jungs waren uns zu anstrengend, zu ruppig oder einfach zu doof. Die große (geförderte) Vereinzelung begann erst als Jugendliche. Es mir damals nicht explizit aufgefallen, aber tagsüber traf unsereine nur wenige Erwachsene. Da die nämlich arbeiteten und damit für uns Kinder relativ unsichtbar waren, wir hatte das Dorf scheinbar nur für uns. Schulvormittage und keine (geregelte) Fremdbetreuung. Sommerferien waren endlose Freiheit.

Heute ist das anders bzw. umgekehrt. Wenn ich mal Tagsüber ins Städtchen gehe, sind nur Erwachsene unterwegs. Bis auf ein paar Mütter mit Kleinkindern, ist unser öffentlicher Alltag eine Erwachsenenwelt. Auch am Nachmittag. Einem Kind außerhalb der Ferienzeit zu begegnen wirft automatisch die Frage auf: was macht es hier? Hat es keine Schule? Und selbst in der Ferienzeit werden unsere Straßen nicht gerade mit Kindern geflutet. Kinder sind in der Regel gut verräumt und im Gegensatz zu damals, kaum mehr allein unterwegs. Auch nicht in Grüppchen.

Meine Enkeltochter Helene arbeitete als Au-pair ein Jahr in Pittsburgh und ihre eigentliche Aufgabe bestand darin als Leibwache für das Kind der Familie zur Verfügung zu stehen. Es ist besonders in Amerika ein Standard Kinder nicht allein zu lassen. Zumindest da wo sich die (arbeitenden) Eltern es leisten können.

Die Welt ist voller Kinder ... diese meine subjektive Wahrnehmung von einst stimmt wohl nicht mehr! Von den rund 7,4 Milliarden Menschen sind ein Fünftel Kinder (jünger als 15 Jahre)* und das ist ehrlich gesagt weniger, als ich erwartet habe. Kinder und Erwachsene (einschließlich Jugendliche) eins zu vier! Und dazu kommt noch die patri-kulturell bedingte Schieflage - der männliche Anteil der Weltbevölkerung wächst in nahezu bedrohlichem Maße unnatürlich über den weiblichen Anteil hinaus. Die sinnlose, Ideologie bedingte, Aufzucht von Söhnen ist ein Desaster, dass sich politisch und ‚menschenenergetisch‘ fatal aus wirkt.

Kinder sind eine Kostbarkeit und werden doch manchmal wie Wegwerfartikel behandelt. Das patriarchöse System sieht im Kind nicht das einzigartige Individuum, dass als Naturereignis den aktuellen Stand der Evolution dastellt und jeweils den Schritt aus der Gegenwart in die beginnende Zukunft macht.


Das Menschenkind ist, wie andere Lebewesen auch, ein Geschöpf der Natur, ein Ergebnis und ein Effekt der organischen (lebendigen) Evolution. Und hier gebrauche ich das Wort „Geschöpf“ zum letzten Mal in diesem Zusammenhang, da ein Geschöpf eigentlich einen Schöpfer voraussetzt und Natur schöpft nicht, sondern ist einfach vorhanden.

Die Natur ist ein Geschehen und
die kontinuierliche Entwicklung der Ereignisse innerhalb dieses Geschehens, nennen wir Evolution.

Das Menschenkind auf das es stets ankam, war weiblich. Also eine Tochter, welche bis zur körperlichen Reife überlebte und eines Tages die Mutter einer Tochter wurde. Ein solches weibliches Kind wurde unsere Urahnin und der jetzige Stand der Erkenntnis spricht von der mitochondrialen Eva, der ersten Menschenfrau. Sie lebte in Afrika, da wo die Spezies Mensch ihren Anfang nahm. Die weibliche Ureinheit, eine Mutter und ihre Tochter, sind der (evo-biologische) Beginn unserer (Menschen)Spezies.

Nur durch das weibliche Individuum entsteht jeweils die Nachkommenschaft. Die weibliche Eizelle sichert den Fortbestand der Spezies indem sie sich in ein genuines, der Mutter sehr ähnliches, Unikat entwickelt, unter der Beteiligung eines männlichen Genzusatzes.

Bereits in grauer Vorzeit selektierte sich ein zusätzlicher Effekt des Lebenserhaltes - es entstand das männliche Geschlecht. Dieser Effekt sorgte für eine größere Diversität in der Nachkommenschaft. Ab da gab es (bei Flora und Fauna) Exemplare weiblichen wie auch männlichen Geschlechts, beide werden von einem weiblichen Individuum hervorgebracht. Menschen nannten eines Tages die Leben hervorbringende Person Mutter.

Alle Säugetiere haben das Muttertier, dass weit mehr ist, als bloß
die Trägerin der Eizelle. Sie steht auch prinzipiell für das sichere Aufwachsen ihres Nachwuchses. Sie bringt in der Regel Nachwuchs beiderlei Geschlechts hervor und die unterschiedlichen Sozialordnungen, mit der die verschiedenen Spezies ihr Überleben sichern, binden auf unterschiedliche Weise beiden Geschlechter mit ein. Der parallele Bestand männlicher Individuen, welche als Variation des weiblichen Grundgeschlechts begann, ist nicht immer ein beständiger Teil der unmittelbaren, überlebenswichtigen Sozialordnung, die sich um das weibliche Individuum (durch die vielschichtige evolutionäre Selektion) gebildet hat. 

Der Kreis des Lebens begann mit einer Zelle und diese entwickelte sich über einen unglaublich langen Zeitraum zu dem erfolgreichen, das Leben erhaltendem Starterset: die Ei-Zelle. Diese Ei-Zelle steht in Organismen bereit, die wir Menschen als weiblich benennen. Menschen sind (sogenannte höhere) biologische Organismen. Sie sind Säugetiere und damit ein Klasse der Wirbeltiere. Sie gehören zu den Tieren, die lebende Junge zur Welt bringen und säugen, also die Weibchen dieser Tierarten natürlich.

Menschen haben eine Kulturgeschichte. Und die begann in ihren Matrifokalen. Als Matrifokale bezeichne ich die überschaubaren Fürsorgegruppen, die als mobile Schutzsphäre für die Mutter-Kind-Einheiten fungierten. Die generationsübergreifenden, geschwisterlichen Fürsorgegemeinschaften bestanden aus matrilinearen Zu- bzw. Angehörigen beiderlei Geschlechts.

Der Lebenserhalt ist ein Prozess, der im weiblichen Kontext stattfindet. Es ist eine Tatsache, dass die Reprise, das Wiederholungsmuster der Lebensneuauflage in Form eines neuen Individuums in einem weiblichen Körper geschieht. Der männliche Anteil einer Spezies ist nur bedingt von Interesse, wenn es um die Nachkommenschaft geht. Diese Feststellung ist keine Wertung, kein feministischer Euphemismus, keine Ideologie oder gar Religion, sondern bloß eine biologische Tatsache. Unser Menschengeschlecht lässt sich wie gesagt inzwischen bis zu einer (mitochondrialen) Eva zurückverfolgen. Wobei es nicht um diese frühe Mutterperson geht, sondern um die Bewusstmachung, dass das prosperierende Leben weiblich ist. Und das dürfte grundsätzlich die Ausgangsbasis sein, von der aus ab sofort die Definitionen und Bewertungen erfolgen. Es ist stets das weibliche Exemplar auf das es ankommt, da es a) die Eizelle trägt, b) die körperlichen Voraussetzungen stellt um das neue Individuum heranwachsen zu lassen und c) in Folge (nach der Geburt oder dem Schlüpfen) sicherstellt, dass das neue Exemplar dieser Spezies Überlebenschancen bekommt und heranreifen kann.


Fortsetzung folgt...


(* „Weltweit leben rund 7,4 Milliarden Menschen. 1,9 Milliarden Menschen, also ein Fünftel davon, sind jünger als 15 Jahre.“ (https://www.demokratiewebstatt.at/thema/thema-wir-kinder-dieser-welt/zahlen-und-fakten-zu-kindern-weltweit/)

zur Info: … hier geht es nicht um biologisches oder akademisches Fachwissen und auch nicht um gesellschaftstheoretische Auslegungen desselben, sondern um eine philosophische Betrachtung, in der ich immer wieder das Natur-Geschehen und die dazugehörige menschliche Kulturentwicklung von den ideologischen, besonders von den patri-schematischen Deutungen und Wertungen trenne. 


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