26 Oktober 2012

Herbstmutter

Der Film  „Herbstkind“, der von der ARD am Mittwoch ausgestrahlt wurde, ist hervorragend umgesetzt und er ist auch aus meinem Verständnis heraus, mehr als nur die Darstellung einer postpartalen Störung.

Die dramatische Handlung des verhalten gezeigte Alltag eines beginnenden Kinderlebens, wird wohl für manchen Zuschauer alles andere als auffällig sein - da gibt es ein schmuckes Eigenheim auf dem Land, das suggeriert wie das Kind später draußen schön spielen wird in der unmittelbaren Nähe der heilen Welt von Bauernhof und Dorfidylle. Außerdem die perfekte Ausstattung des Kinderzimmers, das heutige Eltern auf Grund der Gewissheit 'was es wird', schon vorher farblich abstimmen können. Ein idealer Vater ist auch da, der sich nicht nur wie verrückt auf sein Kind freut, sondern auch erst einmal unspektakulär selbstverständlich die Überforderung der jungen Mutter auffängt. Allerdings braucht er ziemlich lange zu verstehen, dass deren zombieartiger Zustand, weder Erschöpfung nach der Geburt, noch verdrängte Panik vor der Verantwortung ist.

Die Nachbarin spricht die in sich gekehrte Frau auf die Heultage an und findet, das reichlich Arbeit dagegen hilft. Spätestens an der Stelle habe ich mich gefragt, ob ich die einzige bin, der die trostlose Einsamkeit auffällt, in die Mütter mit ihren Neugeborenen im Arm nach der Entbindung heimkehren?

Der klägliche Versuch, den eigenen Vater und Großvater ihres Kindes zum Bleiben zu überreden, ist fast schon eine Schlüsselszene der eigentlichen, aber sicher nicht beabsichtigten, Hintergrundaussage des Filmes.

Mütter und ihr Kind erhalten keine persönliche Unterstützung. Es ist keine (weibliche) Sippe da, die der jungen Mutter das Gefühl geben kann: Alles ist gut, ihr seid beide zwischen uns geborgen.

Die aufgeschlossenen und gut beschäftigten Großeltern, welche in dem Film ohne Frage sehr positiv dargestellt werden, agieren trotzdem auf typische Weise in dem üblichen Modus der bemühten Nichteinmischung und möchten nicht als Störfaktor des neuen Elternglückes auftreten. Das hilflose Nichtaussprechen, das so typisch für dererlei Konfliktfilme ist, hat mich fast verrückt gemacht.

Gut, es wurde ein Krankheitsbild dargestellt, noch dazu eines, was nicht täglich vorkommt und mit dem die Beteiligten nicht umgehen konnten. Aber die einzige Fachfrau, die Betroffene selbst, hat auch in keinem ihrer lichten Momente festgestellt, dass im Interesse von Mutter und Kind Hilfe angezeigt wäre. Und ich meine damit nicht das Einschreiten eines Arztes. 


Es ist so selbstverständlich in unserer Gesellschaft, dass eine Mutter, die ein Kind zur Welt bringt, als autonome Frau weiter ihren Alltag abspult, fern ab von jeder Art aktiver (persönlicher) Zuwendung. Der mehr oder weniger kompetente Mann an ihrer Seite hat alles abzufangen, was an gravierenden Veränderungen mit der Geburt eines Kindes (für beide) einhergeht und ansonsten bleibt man unter sich und genießt das Glück endlich eine „eigene kleine Familie“ zu sein.

Frauen sind zähe Wesen, können normaler weise eine Menge ab und immer wieder haben viele ihre Kinder allein aufgezogen. Aber „allein“ heißt in unserem Kulturjargon: ohne Mann.

Dass zu einer Frau und Mutter vor allem auch andere (verwandte) Frauen und Mütter gehören, ist offensichtlich derzeit nicht nur nicht mehr vorstellbar, sondern leider auch höchst selten umzusetzen. Unsere Kinder werden in eine ungeborgene Welt hineingeboren, in der es sich alle tauglich eingerichtet haben - es darf nur nicht dazwischen, sonst kann ein Neugeborenes schon mal im Wäschekorb zwischen der Schmutzwäsche landen.





Fall eine von euch Bedarf hat, noch ist der Film in der Mediatik des ARD zu sehen!

Dazu vielleicht auch ein Artikel in der Frankfurter Rundschau

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13 Oktober 2012

Von der Welt enttäuscht

Von der Welt enttäuscht oder Das Wunder der Kommunikation

Nun könnte man nach dieser Überschrift meinen, ich sei von der Welt, den Mitmenschen oder meinem Schicksal enttäuscht – weit gefehlt – ich lebe recht zufrieden in der besten der möglichen Welten und das meine ich erst einmal in einem kosmischen Sinne. Die Welt kann uns eigentlich nicht enttäuschen, denn alles hängt an unseren Erwartungen.

Unsere Welt, also die Erdkugel mit ihren natürlichen Bedingungen, gibt es ja schon seit ein paar Jährchen und alles befindet sich ständig in einer halbwegs stabilen, aber auch sensiblen Balance, wenn wir es mal von der Warte der Lebewesen aus betrachten. Als solche haben wir unheimliches Glück, dass die Erde den für uns richtigen Abstand zur Sonne einnimmt und sich so die für uns Lebensbedingungen über einen Zeitraum von ein paar Millionen Jahre erhalten haben. Auch dass die Erde einen Trabanten hat, unseren Mond, der zur Stabilität beiträgt indem er die Rotation unseres Globus abbremst. Oder dass unser kleiner blauer Planet weit genug vom Zentrum der Galaxie entfernt liegt, so dass hier relativ wenige Kometenwanderer (arme Dinos) vorbei kommen oder gar einschlagen. Allerdings ist und bleibt nach wie vor für alle das Leben lebensgefährlich. Viele der natürlichen und inzwischen auch der gesellschaftlichen Bedingungen unter denen wir leben, sind von uns nicht ohne weiteres zu ändern. Daher können wir also immer wieder sagen: Alles ist gut – nur nicht immer, nur nicht überall und leider auch nicht für jeden!

Als einzelner Mensch habe ich eine bestimmte Sicht auf die vorhandenen Bedingungen unter denen ich und wir alle existieren. Dazu nehme ich eine bestimmte Haltung ein. Diese besteht bei mir aus der Anerkennung der für mich unveränderbaren und variablen Bedingungen und dem Drang das Beste daraus zu machen – ein natürliches in uns angelegtes Überlebensprogramm. Aber da gibt es noch fataler Weise bestimmte, in frühster Kindheit angelegte Konditionierungen und immer noch funktionierende Glaubenssätze, welche der schlichten Auffassung von „ich schaff das schon“ oft genug im Wege stehen.

Nun habe ich das Glück als Frau geboren worden zu sein - in einer Zeit und einer Gegend der Erde, die mir ein relativ großes Maß an persönlicher Freiheit gestattet. Gleichzeitig jedoch habe ich und fast alle anderen, das Pech, dass unsere derzeitige Weltkultur mit einem prinzipiell menschenfeindlichen System durchsetzt ist das wir Patriarchat nennen. Unterdrückung, Fremdbestimmung und Unfreiheit sowie latente oder offene Gewalt als Dauerzustand sind die Muster dieses Gesellschaftssystems. Derzeit haben wir auch hier mehr oder weniger alle das Glück, dass unser Alltag relativ friedlich verläuft. Nur wenige nehmen die inszenierte und alles beherrschende Intention wahr, welche das angestrebte freie und natürliche Menschenleben der meisten gegen den raffiniert etablierten Machterhalt der patriarchalen Nutznießer ausspielt. Das Gefüge der Macht baut weder auf der Freiheit noch auf dem Wohl der Masse auf, sondern auf deren Verfügbarkeit und die wird rechtzeitig installiert. Sozusagen die Vervollkommnung von Zuckerbrot und Peitsche.

Der Mensch als Spezies ist schon recht lange unterwegs und ebenso steht uns als Individuum grundsätzlich eine ganz ordentliche Lebensspanne zur Verfügung. Im Schnitt sind es mehrere Jahrzehnte in denen wir persönliche und kollektiv geprägte Erfahrungen machen und Gedächtnisprotokolle in unserer Hirnrinde oder wo auch immer abspeichern  – vor allem zum Wohle unseres Nachwuchses. Die Weitergabe der eigenen Existenz ist die Sinn-Strategie der Lebewesen. 

Die (durchschnittlich) hohe Lebensspanne des Menschen ermöglichte uns vor Ort Naturereignisse über einen längeren Zeitraum zu beobachten und die Erkenntnisse für uns als Spezies, aber auch als Individuum, für unser Überleben zu nutzen. Und da sind wir – als Spezies mächtiger denn je. Alles hat bisher deshalb so gut funktioniert, weil wir in Angehörigengruppen und damit generationsübergreifend die soziale Balance geschaffen haben, die für die uns nachfolgenden Menschenkindern immer wieder das Leben ermöglichten. Zwar wird das soziale Miteinander auch immer der Situation angepasst - zum Beispiel dem Klima und seinen Folgen oder es ist von der Zusammensetzung unserer Lebensgemeinschaften abhängig. Die eine Seite ist also die Gesamtsituation, die uns bestimmte Vorgaben macht und die andere der individuelle Freiraum mit dem wir unser Dasein gestalten können. Und das kann durch viele Faktoren eingeschränkt sein. Durch Behinderungen aller Art – wie permanente Fremdbestimmung durch Menschen, die die Macht haben uns zu hindern unser Potential zu entfalten (oder eine Burka zu tragen) oder wir leiden an einer chronische Krankheit, die uns einschränkt.

Was von uns als Individuum dereinst übrigbleibt ist das Vermächtnis, das wir unseren (persönlichen) Nachkommen hinterlassen - in der direkten Erbgutanlage oder in Form weitergesagter Erkenntnissen. Zwar sind die Zeiten vorbei, da Menschen ausschließlich mündlich überlieferten, aber der Drang lebenslang das eigene Erkennen und Wissen mit anderen und am liebsten mit den Nahestehenden und dem Nachwuchs zu teilen, ist nun mal eine der Strategien, die den Erhalt der Spezies garantiert. 

Nur wer kann sich schon heutzutage in unserer sehr speziellen und strukturierten Welt ständig in mitten einer geneigten Zuhörerschaft nach Herzenslust verbreiten? Die Vereinzelung des Menschen greift wie eine Pandemie um sich. Wir werden am Weitersagen gehindert – aber - es lebe das Internet und die digitale Möglichkeit der Verständigung, die in den sozialen Netzwerken stattfinden. Der Ausweg ist die mittelbare und somit verzögerte Verständigung über das Schreibens. Im analogen Leben sieht es für das persönliche Gespräch, welches all die essentiellen Gefühlsinformationen transportiert, zunehmend schlecht aus. Während der Arbeit und in der Schule kommt Schwatzen gar nicht gut. Für ein ausgiebiges, freundliches und zugewandtes Gespräch, so von Kindergartenkind zur Erzieherin, ist selten Gelegenheit und die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit des Erwachsenen ist groß. Die häuslichen vier Wände sind in der Regel auch nicht gerade angefüllt mit interessierten Menschen, die nur darauf warten mit einem Kind in Muße zu kommunizieren. Gesellige Runden, noch dazu ungezwungene, sind in manchem Alltag so selten geworden, dass sie sofort Eventcharakter annehmen. Da werden zu bestimmten Gelegenheiten Treffen aufwendig organisiert – auch für Kinder - unter dem Zwang ein unvergessliches Erlebnis zu schaffen (der Aufwand muss doch lohnen). Es herrscht also grundsätzlich sowie in vielen persönlichen Lebensläufen inzwischen ein Mangel an unspektakulärer, zugewandter und wohlmeinender Interaktion.

Doch genug der Einführung in die alltäglichen sozialen Verwobenheiten und Notwendigkeiten und schauen wir nachsichtig auf unsere eigne Bereitschaft mit der Welt zu kommunizieren. Diese Nachsicht sollten wir immer üben. Denn wenn Verständigung mit unserem Umfeld nicht gelingt, liegt es nicht immer an uns selbst. Bereits seit Generationen werden wir und hier im besonderen die Frau, in unserer Kultur zur Sprachlosigkeit angehalten sowie dem Unterdrücken des, mit interaktiver Kommunikation einhergehenden, körperlichen Ausdrucks. Sich möglichst nicht exponiert benehmen, nicht zu laut lachen, nicht durch auffälliges Verhalten die Blicke auf sich ziehen, gehört zu den Regeln des guten Benehmens.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – das bedeutet auch schon für das Kind, dass es früh angehalten wird, anderen und hier dem sprechenden (meist männlichen) Erwachsenen nicht einfach ins Wort fallen. Allerorts muss die eigene, natürliche Begeisterung gedämpft werden. Wir sind aufgefordert uns zurück zu halten und in das Marionettentheater, das uns umgibt, einzureihen. Mit naiven Schwung und kindlichem Enthusiasmus könnten wir die Fäden verwirren, an denen die meisten Erwachsenen hängen und von denen niemand so recht weiß, wer gerade daran zieht. Daher lernt schon das Kind Zurückhaltung und höchstens die passende Rhetorik um im passenden Moment das Passende zu sagen. Ob es auch das Richtige ist, steht kaum zur Debatte.

Und so geschieht es immer wieder, dass wir mit uns selbst genauso ungesellig umgehen und in uns selbst ebenso unsicher kommunizieren, wie es uns unsere Erzieher vorgelebt haben. Mit uns selbst in einem ständigen, wohlmeinenden Kontakt zu stehen haben wir teilweise schon in unserer Kindheit verlernt. Von der Eigen-Wahrnehmung immer wieder abgelenkt, leben die meisten von uns auch noch abgetrennt von ihrer Herkunft. Das Wesentliche des Menschseins – sich dauerhaft in einer zugehörigen und zugewandten Gemeinschaft aufzuhalten – ging in unserer Kultur der Unverbindlichkeit verloren...

Fortsetzung folgt...