25 November 2012

Das Umschalten zwischen den Welten...

Neulich habe ich mich mal wieder in eine Großstadt verirrt und das Leben der modernen jungen Leute studiert. Einiges hat sich doch geändert, seit ich dereinst selbst noch im Hamsterrad des Alltags kreiste - manches ist leichter geworden, anderes hat sich verschärft... habe dazu ein bisschen reflektiert:

Das Umschalten zwischen den Welten und der kaum registrierte Stress, den diese Lebensweise verursacht!

Wir setzen uns täglich als erwachsenes Individuum, allein und bewusst, einer Kette von Ereignissen aus, die bei uns trotz aller Gewohnheit eine Art Dauer- Stress auslöst. Der gesamte klassische Tagesablauf, den wir als durchschnittlicher Arbeitnehmer, Familienbetreiber und Freizeitnutzer durchlaufen ist ein recht unnatürlicher Vorgang geworden, wenn wir die menschlichen naturgemäßen Abläufe unserer (ausschließlich zu Fuß gehenden) Vorfahren als die normalen Voraussetzung ansehen.

Viele von uns leben Tag täglich auf einem Stresslevel ohne ihn groß zu registrieren, der uns jedoch bestimmt schadet . Diese Form des Stress ist eine Art Dauerschleife. Logischerweise waren unsere Urmütter und ihre Kinder auch einem naturgemäßen Stress ausgesetzt, aber erstens nie allein, sondern in der Regel in der angehörigen Sippe und zweitens in einem anderem Tempo, dass das Bindungspotential ausschöpfte. Unsere Vormutter der Steinzeit lebte nicht als ständig separierte Person unter hunderten anderen unbekannten Personen - also allein, sondern als ein integrierter Teil einer generationsübergreifenden Bindungsgemeinschaft.

Und heute begeben wir uns nur noch vereinzelt jeden Tag in die freie Wildbahn der Moderne, auch jede Mutter und ihr Kind. Wir kennen es nicht mehr in einem Pulk mit vertrauten Personen loszuziehen, wo eine auf die andere aufpasst. Höchstens kommt das noch bei manchen Freizeitaktivitäten vor und dann auch eher in der Jugendzeit.

Der einzige Vorteil dabei ist, dass sich für uns im Alltag viele äußere Parameter wiederholen und wir dabei zwischendurch die Erholung der Routine zu spüren bekommen. Sitzen wir im Auto und fahren zur Arbeit, sind wir als Individuum zwar in dieser Blechkugel unmittelbar geschützt, müssen jedoch auf die sich schnell und ständig neu gestaltende Verkehrslage außerhalb unseres Fahrzeugs reagieren – die Situation auf der Straße und besonders im Berufsverkehr sind wie ein Videospiel – ständig kann etwas Unvorhergesehenes eintreten. Dauerkonzentration ist daher angesagt, auch nach einem langen Arbeitstag.

Sind wir mit Bus und Bahn unterwegs, brauchen wir uns keine Gedanken um das Verkehrsgeschehen machen, dafür ist unser Körper unmittelbar vielen verschiedenen Fremdkontakten ausgesetzt. Dabei denke ich, dass es hier auch einen, oft deutlich sichtbaren, Unterschied zwischen gewollten und unbewussten Reaktionen von betroffenen Männern oder Frauen gibt. Und hier können wir davon ausgehen, dass die Frau in der Regel, auch wenn ihr das kaum bewusst ist, immer viel mehr auf der Hut ist.

Trotzdem geht praktisch jeder scheinbar ganz selbstverständlich mit der Ausgangslage des normalen Alltags um, schließlich wurden wir von Kind an darauf trainiert. Dieses (Distanz)Training zielte sozusagen darauf ab, unsere natürlichen Instinkte zu entschärfen und vor allem auf zwei Aspekte zu richten – einmal dass wir uns als Alleingänger angstfrei zwischen Unbekannten bewegen und zum anderen die Masse, der uns ständig umgebenden Fremden, weitgehend zu ignorieren. Wenn sich alle in dem gleichen trägen oder rasanten Fluss bewegen, sind die anderen Menschen wie Gegenstände, die an uns vorbei treiben. Wahrscheinlich würde es uns verrückt machen, wenn wir all die Massen um uns als einzelne Personen wahrnehmen und auch noch auf sie reagieren müssten bzw. würden. Besonders dann, wenn wir nur kurz ein Bad in der Menge nehmen.

Da wir hier und heute davon ausgehen können, uns im gesellschaftlichen, also öffentlichen Raum relativ gefahrenfrei zu bewegen, ist es möglich unsere Sinne zwischen latentem Alarmzustand und entspannten Rückzug hinter unserer Aura, also in uns selbst, einzupendeln. Wir nutzen Fahr- und Wartezeiten, besonders mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, zur persönlichen Beschäftigung - schlafen, lesen, tagträumen, mit dem Kind ein Bilderbuch ansehen - und eher selten passiert etwas Aufregendes. Trotzdem sind wir nicht wirklich unaufmerksam oder gar tiefenentspannt. Unbewusst läuft permanent das Wahrnehmungsprogramm der Urzeit mit. Noch mehr verschärft sich die Lage, auch wenn es nach außen nicht sichtbar ist, wenn wir ein Kind dabei haben. Unsere Aufmerksamkeit ist nun mehrfach gebunden. Jetzt gilt es zwei Personen unbeschadet an den Bestimmungsort zu bringen. Und das bedeutet sofort, das wir eine ganz andere Haltung einnehmen und mehr Wachsamkeit an den Tag legen, wenn wir für ein oder mehrere Schutzbefohlene die Verantwortung tragen. Wohlgemerkt, als nicht unterstützte Einzelperson.

Wir sind zwar angehalten, haben es gelernt, uns an die moderne Alltagssituation zu gewöhnen, aber als moderne Mensch werden wir durch die vielen Einflüsse, und es kommen ständig welche hinzu, permanent in Atem gehalten. Wenn sich also die Mensch in ihrem eng getakteten Alltag ständig gestresst fühlt, ist das wahrhaft kein Wunder und keine gesunde Voraussetzung, weder für Mutter und Kind, noch für Jederfrau.
Die Mensch als solches ist ein Anpassungsgenie und logischerweise setzt sich dieses Verhalten auch in unserer Moderne fort. Die moderne Mensch passt sich an Situationen an, auch wenn sie ihr nicht gut tuen. Wenn wir unsere Lage (scheinbar) nicht ändern können, versuchen wir auch gern mal die damit permanent einhergehenden unerfreulichen Gefühle zu ignorieren. Was nicht jeder bzw. immer gelingt. Wir sind so in unser Hamsterrad eingepasst, so dass wir oft erst munter werden, wenn die Gesundheit massiv auf dem Spiel steht. Dabei sollten wir, gerade wenn Kinder zu unserem Lebensraum gehören, das eigene Wohlbefinden nicht aus den Augen verlieren.

Da wir weiterhin in der Regel mehrfach am Tag zwischen den Welten und ihren Forderungen an uns, hin und her wechseln, werden wir uns auch eher auf die gerade anstehenden bzw. aufploppenden nächsten (mulmigen) Gefühle konzentrieren. Unser Tagesgeschehen ist, auch wenn es uns so vorkommt, selten ein organischer Ablauf in einer geborgenen Atmosphäre, sonder ein Jumpen zwischen den unterschiedlichen Anforderungen verschiedener Subroutinen. Es ist zudem üblich, dass sich die Erwachsenen (und ebenso die Kinder), auch wenn sie die gleiche Häuslichkeit miteinander teilen, trotzdem in verschiedenen Subwelten der Gesellschaft aufhalten. Als Teilnehmerinnen ihrer häuslichen Minigemeinschaften sind sie zudem damit beschäftigt, nicht nur ihre eigenen Gefühlslagen auf die Reihe zu bekommen, sondern die ihrer Mitbewohner gleich mit.

Das weibliche Individuum der Spezies Mensch ist ein natürliches Bindungswesen und endet im culture clash der Patriarchose als Beziehungsgeberin für Beziehungsnehmer. Wir treten im Laufe unseres Lebens mit hunderten Menschen in verschiedentliche Beziehungen. Im Bindungsangehörigen-Kontext sind es immer nur einige, die in patriarchaler Tradition, so früh wie möglich aussortiert werden. Es ist die allseits bekannte Beziehungsarbeit, die Frauen und Mütter gewohnt sind zu leisten ... wir sind auf 'fremd', 'nicht bekannt' und 'nicht verwandt' trainiert. Das Individuum lernt mit der Verunsicherung, die damit einhergeht, zu leben. Unser soziales Arrangement in unserer Kultur funktioniert auch leidlich, wenn die Gesellschaft ein Niveau bereitstellt, in dem ein jedes Mitglied (auch die Frau und Mutter) einigermaßen aufgefangen wird.

Eine der größten Herausforderungen ist und bleibt, besonders für das Kind, das Umschalten zwischen den so gänzlich verschiedenen Subwelten unserer Gesellschaft. Das kleine Bindungswesen 'Mensch' bringt für die Anforderung, sich relativ früh und in der Regel allein, in wechselnden Zivilisationsenklaven in Bindungslosigkeit wieder zu finden, eine Anpassungsleistung mit, die letztlich auch nur eine Überlebenstechnik darstellt. Irgendwann greift auch die Routine und das Kind gewöhnt sich an die verschieden Wechsel. Ob das allerdings für ein Kind gut ist, wird nicht hinterfragt.

Allein sein und klarkommen in einer anonymen Gesellschaft, ist das Ziel und die Norm der patriarchösen Kultur - ein wahrhaft absurdes Konzept. Das anpassungsfähige Kind der Spezies Mensch kriegt das zwar hin, aber was diese Situationen als permanente Dauerschleife mit dem Individuum macht, permanent aus der Pseudo-Sippe 'Familie' verstoßen und wieder zugelassen zu werden, ist ein Phänomen, das noch viel zu wenig Beachtung findet. Dieser Mangel an gelebter Bindung und Geborgenheit und statt dessen das gesellschaftliche Beziehungskarussell zu bedienen, gehört für das moderne Kind zur Normalität und wir alle sind auch bereits damit groß geworden.

Aber ... es ist nicht unsere Natur  ...
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